Tom Waibel
Als Animal Farm 1954 im Animationsstudio von John Halas und Joy Batchelor fertiggestellt wurde, war das der erste abendfüllende Zeichentrickfilm in England. Vergegenwärtigen wir uns, dass bis zu diesem Zeitpunkt im Verlauf der gesamten Kinogeschichte weniger als 30 abendfüllende Animationsspielfilme hergestellt worden waren, von denen rund zwei Drittel in den USA produziert wurden. Wie kam es also, dass der Auftrag für eine abendfüllende Politsatire im Animationsformat an ein doch recht kleines (britisches) Studio vergeben worden war, das bisher vor allem Propaganda-Trickfilme für den Zweiten Weltkrieg hergestellt hatte?
Werfen wir einen Blick auf den Entstehungsprozess des Films und beginnen wir mit der bemerkenswerten Geschichte seiner literarischen Vorlage, die weltbekannte gleichnamige Erfolgserzählung von George Orwell, dessen eigener Auskunft zufolge „dieses Buch, was die zentrale Idee betrifft, 1937 entstand“. In diesem Jahr war George Orwell, mit bürgerlichem Namen Eric Arthur Blair, nach Spanien gegangen, um die Faschisten zu bekämpfen, die sich gegen die gewählte demokratische Regierung des Landes erhoben hatten. Orwell kämpfte auf der Seite der trotzkistisch-kommunistischen POUM und als die stalinistisch-kommunistischen Sowjets die Kontrolle über die republikanische Regierung übernommen hatten, wurden die linken Kräfte, denen sich Orwell angeschlossen hatte, gewaltsam unterdrückt. Er selbst musste schließlich aus Spanien fliehen, um sein Leben zu retten. Diese Erfahrungen machen aus dem demokratischen Sozialisten Orwell einen überzeugten Anti-Stalinisten, sie prägen seine Auffassung von der Sowjetunion als einem totalitären Staat, und lassen in ihm den Wunsch reifen, „nach meiner Rückkehr aus Spanien den sowjetischen Mythos in einer Geschichte zu entlarven, die von jedem leicht verstanden werden kann.“
Orwell stellt diese Geschichte im Frühsommer 1944 fertig, zu einem Zeitpunkt also, an dem die Sowjetunion die faschistischen deutschen Heere in Stalingrad vernichtend geschlagen, und den Kriegsverlauf damit entscheidend zugunsten der Alliierten verändert hatte. Und es war wohl auch diesen Gründen geschuldet, dass viele Verlagshäuser, denen Orwell sein Manuskript vorlegte, davor zurückscheuten, eine so unverhohlen anti-stalinistische Geschichte in Umlauf zu bringen. So lehnt etwa T.S. Eliot im Namen des Verlags Faber & Faber das Manuskript ab und er schreibt am 13. Juli 1944 an Orwell:
„Wir stimmen zu, dass es sich um ein ausgezeichnetes Werk handelt; dass die Fabel sehr geschickt gehandhabt wird und dass die Erzählung das Interesse auf ihrer eigenen Ebene hält – und das ist etwas, was nur sehr wenige Autoren seit Gullivers Reisen erreicht haben.
Andererseits sind wir nicht davon überzeugt […], dass dies der richtige Standpunkt ist, um die gegenwärtige politische Situation zu kritisieren […] und ihr Standpunkt, den ich als allgemein trotzkistisch ansehe, ist nicht überzeugend […] Und schließlich sind Ihre Schweine viel intelligenter als die anderen Tiere und daher am besten geeignet, die Farm zu leiten – in der Tat hätte es ohne sie überhaupt keine Farm der Tiere geben können: was also gebraucht wird, (so könnte man argumentieren), ist nicht mehr Kommunismus, sondern mehr Schweine mit Gemeinsinn.“
Es sollte bis zum Kriegsende dauern, dass Orwell 1945 endlich mit Secker & Warburg befreundete (trotzkistische) Verleger finden sollte, die das Buch am 17. August 1945 in den Handel bringen konnten, also wenige Tage nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki. Nun, mitten in der allgemeinen Nachkriegsdebatte über die Zukunft der Welt und des Friedens, fand Orwells Parabel eine begeisterte Aufnahme und war innerhalb kurzer Zeit vergriffen. Die zweite Auflage war mit zehntausend Exemplaren bereits doppelt so groß wie die Erstauflage, und als die Erzählung bald darauf in New York verlegt wird, wird sie rasch zum Weltbestseller. Auch die westlichen Geheimdienste beginnen sich für Orwell wegen seiner politischen Einstellung und seiner antitotalitären Romane zu interessieren, und der Kritiker George Woodcock erinnert sich später daran, dass man um 1948 „jeden Stalinisten fragen könnte, welcher englische Schriftsteller die größte Gefahr für die kommunistische Sache ist, und er würde wahrscheinlich George Orwell antworten.“
Ab 1950, nach Orwells frühem Tod an Tuberkulose, scheint es für die propagandistische Auswertung des Romans keine Grenzen mehr zu geben: Der CIA-Agent und Paramount-Mitarbeiter Carleton Alsop bemüht sich bei Orwells Witwe um die Filmrechte am Buch, und ab 1952 versuchen westliche Geheimdienste unter der Führung der CIA das Werk mit Hilfe von Ballonen von Westdeutschland aus im Ostblock zu verbreiten. Die Luftwaffen von Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei bekommen den Auftrag, diese Ballone abzuschießen und aufgefundene Bücher zu zerstören. In den gesamten Ostblock-Ländern stand dieses Buch von Orwell, genauso wie sein Roman 1984, auf der Liste der verbotenen Bücher und war bis zur Wende nur als Samisdat-Ausgabe erhältlich.
Nachdem Howard Hunt, der Chef der Abteilung für psychologische Kriegsführung der CIA dem US-Produzenten Louis De Rochemont eine halbe Million Dollar bezahlt hatte, bekam das britische Animationsstudio von John Halas und Joy Batchelor den Auftrag den Film herzustellen. 1954 wurde der abendfüllende Trickfilm in New York im Rahmen einer Gala der Vereinten Nationen vorgestellt und begeistert aufgenommen. Die New York Times bezeichnete ihn als „eine lebendige und bissige Animation über soziale Revolution und Desillusionierung“. Der Film war erfolgreich zu einer ideologischen Waffe in der Auseinandersetzung des Kalten Kriegs geworden, und er wurde von der United States Information Agency (USIA) weltweit verbreitet. Angeblich konnte er insbesondere in arabischen Ländern seine Propagandafunktion gut erfüllen, zumindest erklärte ein ägyptischer Botschaftsbeamter dem Guardian gegenüber die Eignung des Films damit, „dass sowohl Schweine als auch Hunde für Muslime unreine Tiere sind“.
Außerdem blieb die Propaganda-Schlacht nicht auf Buch und Film beschränkt: Als am Ende des 20. Jahrhunderts die entsprechenden Dokumente allmähliche deklassifiziert und zugänglich wurden, stellte sich heraus, dass der britische MI5 Comic-Hefte finanziert hatte, die auf Orwells Text basierten und in Brasilien, Burma, Eritrea, Indien, Mexiko, Thailand und Venezuela verbreitet worden waren. In der Blütezeit des Kalten Krieges war die Verfilmung also nur ein – wenn auch bedeutender – Aspekt der ideologischen und kulturellen Offensive des Westens. Um aber diesem Ziel gerecht zu werden, musste Orwells Vorlage abgeändert werden, und der Film bekam ein ganz und gar nicht Orwellsches Happy End verpasst: Orwells Roman nämlich endet äußerst pessimistisch, und er beschreibt die Schweine so, dass sie von ihren ausbeuterischen Anderen, den Menschen nicht mehr zu unterscheiden sind. Der geheimdienstlich finanzierte Film dagegen kennt ein positiveres Ende, bei dem die Tiere letztlich Hilfe von anderen Bauernhöfen erhalten, um die animalische Diktatur erfolgreich zu stürzen.
Literatur
Roger Manvell, The Animated Film with Pictures from the Film “Animal Farm” by Halas & Batchelor, London: Sylvan Press 1954.
Frances Stonor Saunders, Who Paid the Piper? The CIA and the Cultural Cold War, London: Granta 1999.
Tony Shaw, British Cinema and the Cold War: The State, Propaganda and the Consensus, Tauris: 2006.
T. S. Eliot, Letter from 13. July 1944.
Daniel J. Leab, Orwell Subverted. The CIA and the Filming of Animal Farm, Pennsylvania State University Press 2007.
George Orwell, Why I Write (1947).