4. Confusing Freedom with Formlessness / Die Verwechslung von Freiheit und Formlosigkeit

Amos Vogel

Mangel, Unvermögen und Vernachlässigung der Form ist die größte Schwäche der heutigen Avantgarde. Die gegenwärtigen Tendenzen in allen Künsten zur Improvisation, zum Fließenden und Zufälligen werden mit der völligen Abwesenheit von Form verwechselt, und die Versuchung ist groß, zu übersehen, dass gerade die gelungenen Werke dieser Art eine innere Struktur und Logik zum Ausdruck bringen.

Diese innere Stimmigkeit ist eher “spürbar” als erklärbar. Sie fehlt völlig in so vielen aktuellen Arbeiten, die genauso gut fünfzehn oder fünfzig Minuten dauern könnten und in denen die Abfolge oder Dauer der Einstellungen im Hinblick auf die Gesamtkonstruktion des Werks völlig irrelevant oder austauschbar bleibt. Ihnen fehlt die Überraschung, das Geheimnisvolle, die klare Form und der unaufhaltsame Fluss, die alle große Kunst auszeichnen.

Film als sowohl bildende wie auch zeitbasierte Kunst beinhaltet Überlegungen zu Tempo, Länge, Ablauf, Schnitt und Kamerapositionierung. Diese Erwägungen können und dürfen auch in experimentellen Werken nicht außer Kraft gesetzt werden. Sie wirken völlig unabhängig von den erklärten Absichten der Künstler*innen auf den tiefsten psychologischen Ebenen, und sie bestimmen den Wert des jeweiligen Werks als Kunst. Ein ausgeprägter Sinn für Form, Struktur und Tempo ist in den besten Werken der amerikanischen Avantgarde-Bewegung unweigerlich vorhanden, ganz unabhängig von ihren spezifischen und unterschiedlichen ästhetischen Anliegen.

Lack, failure, and disregard of form is the over-riding weakness of today’s avant-garde. Current tendencies in all the arts toward improvisation, fluidity, and chance are mistaken for a total absence of form, and the temptation is to disregard the fact that it is precisely the achieved works of this kind that reveal an inner structure and logic.

This inner coherence is “felt” rather than explicable. It is totally lacking in so many current efforts, which could go on equally well for fifteen minutes or for fifty, and in which the succession or duration of shots remains totally irrelevant or mutable in terms of the total construct of the work. They lack surprise, mystery, and that inexorable form and flow that are the characteristics of all great art.

Film, both as a plastic and time art, involves considerations of tempo, length, progression, editing, camera positioning. These considerations, even in experimental works, are not and can never be suspended. They operate quite independently of the artist’s announced intentions on the deepest psychological levels, and they determine the work’s value as art. A strong sense of form, structure, and tempo are inevitably present in the best works of the American avant-garde movement, quite regardless of their specific and differing aesthetic commitments.