6. Confusing Non-Selectivity with Art / Die Verwechslung von Selektionslosigkeit mit Kunst

Amos Vogel

Die stolz verkündete Politik des NAC, jeden Streifen Film zu zeigen, zu verbreiten und zu verherrlichen, ist selbstzerstörerisch. Jede neue Person, die eine Kamera bekommt und daraufhin ein “Werk” fertigstellt, wird umgehend öffentlich vorgeführt und vertrieben. Auf diese Weise kommen mehrere hundert Titel zum jährlichen “Oeuvre” der amerikanischen Avantgarde hinzu. Unter diesen Umständen ist es leichter, Nachahmer*innen von Brakhage zu entdecken als neue Brakhages.

Es mag unumgänglich sein, Filmemacher*innen jeden einzelnen Film bei internen Vorführungen oder Workshops zu zeigen, damit sie die Arbeit der anderen sehen können; aber es ist selbstmörderisch, wenn das für das breite Publikum gemacht wird. Angesichts des aktuellen Volumens und Niveaus der “Produktion” – kilometerweise neue Filme – wird der Markt überschwemmt und das Publikum überflutet von einem Schwall an Mittelmäßigkeit oder noch Schlimmerem. Früher oder später weigern sich die Zuseher*innen, das typische Missverhältnis von fünf Minuten vielversprechendem Filmmaterial innerhalb von zwei Stunden Langeweile zu akzeptieren. Da sie keine Möglichkeit haben, die Werke vorab zu beurteilen und sich nicht auf das Urteil anderer verlassen können (da keine Auswahl stattfindet), entscheiden sie sich schließlich, den Filmen ganz fernzubleiben oder sie nicht mehr auszuleihen, und an die Stelle des frustrierten Interesses tritt feindselige Ablehnung. Wie hätten die Zuseher*innen in der Fülle unbekannter neuer Produktionen und angesichts des völligen Fehlens von Filmkritik je wissen können, dass Metanomen, Lost in Cuddahy, O Dem Watermelons und Relativity ausgesprochen sehenswert sind und vierhundert andere neue Filme nicht?

Wir brauchen daher ein neues Forum für die Avantgarde, das nicht unter der Kontrolle einer einzelnen Fraktion innerhalb der Bewegung steht, ganz gleich, wie bedeutend diese auch sein mag. Ein Forum, das die besten neuen Avantgarde-Filme zeigt, die von einer Gruppe von Avantgarde-Kritiker*innen und -Autor*innen – einschließlich derjenigen des NAC – sorgfältig ausgewählt wurden. Auswahl ist eine Frage des Geschmacks und der angemessenen Entfaltung.

Jede Kritik an dieser Auswahlmethode als einer unzulässigen “Beeinflussung” des öffentlichen Geschmacks ist heuchlerisch. Denn einerseits gibt es überall dort, wo etwas gezeigt wird, auch eine vorherige Beurteilung. Und andererseits trifft diese Kritik, wenn überhaupt, auf das derzeitige System der Kontrolle durch eine einzelne Fraktion zu.

The NAC’s proudly proclaimed policy of showing, distributing, and praising every scrap of film is self-defeating. Every new person who gets a camera and thereupon “completes” a “work,” immediately obtains a public showing and distribution. In this manner several hundred titles are added to the yearly “oeuvre” of the American avant-garde. Under the circumstances, it is easier to discover epigones of Brakhage than new Brakhages.

It may be essential to show every single film to filmmakers at internal, workshop screenings so that they can see each other’s work; it is suicidal if this is done with general audiences. Given the present volume and level of “production” – miles of new films – this gluts the market and inundates the viewer in a morass of mediocrity or worse. Sooner or later, the audience refuses to accept the frequent ratio of five minutes of promising footage to two hours of tedium. Unable to judge the works in advance or to rely on somebody else’s judgment (since no selection takes place), they ultimately decide to stay away or to stop renting films, their frustrated interest supplanted by hostile irritation. How could they have known, amidst the welter of unknown new productions and a total absence of critical writing, that Metanomen, Lost in Cuddahy, O Dem Watermelons, and Relativity were most eminently worth seeing and four hundred other recent films were not?

There is therefore a need for a new showcase for the avant-garde, not under the control of one faction within the movement, however important, but presenting the best new avant-garde films, as carefully selected by a group of avant-garde – including NAC – critics and writers. Selectivity is a function of taste and of proper growth.

Any criticism of this method of selection as an impermissible “directing” of public taste is hypocritical. First, wherever there is exhibition, there is prior exercise of judgement. Second, this criticism applies, if anywhere, to the present system of control by one faction.