Patrick Holzapfel
Meine erste Begegnung mit dem Kino von Charel war in Form einer bemerkenswerten Zimmerpflanze. Ich hatte so gar nicht damit gerechnet, wollte eigentlich nur schnell und unbemerkt etwas aus dem Archiv des Österreichischen Filmmuseums in Heiligenstadt holen und dann, mit Paket unterm Arm, geradewegs aus dem Gebäude heraus marschieren. Als ich das Tageslicht schon vor mir sah, flimmerte auf einem kleinen Bildschirm das Bild eben jener, für den geneigten Freund filmischer Pflanzen wohl gar nicht außergewöhnlicher Zimmerpflanze. Ich hielt inne, spähte durch ein Fensterglas auf die wundersam bewegten Bilder und ehe ich mich versah, war ich mitten im filmischen Universum von Charel gelandet. Ein Universum, dass ich bis heute nur in minimalsten Fragmenten kenne und dass derart viele Überraschungen in sich birgt, dass man sich wundern könnte, warum sich nicht ganze Filmalmanache oder ein Charel-Wikipedia mit dem Thema befassen.
Da ich wirklich nicht weiß, wo man bei Charel beginnen könnte, beginne ich also an meinem Anfang mit ihm. Selbst wenn die Erinnerung hier und da zu verblassen droht und sich die filmischen Bilder wie so oft in ihrem Fortleben in unseren Gedanken verändern. Nun kommt es nicht wirklich häufig vor, dass einen Bilder von Zimmerpflanzen aus dem Alltagstrott befreien. Nur diese sprach mich ganz direkt an und vor allem tat dies die Weise, in der sie von Charel gefilmt, beinahe möchte man schreiben in Szene gesetzt wird. Sie steht eigentlich ganz unschuldig auf einem Tisch in einem Wohnzimmer. Es handelt sich um eine Aloe Vera Pflanze. Ihre Blätter beugen sich in alle Richtungen bogenförmig hin zur Erde. Jedes Blatt scheint für sich alleine zu existieren und doch hängen alle an derselben Pflanze. Jemand hat sie in einen Topf gestellt. Der Topf wiederum steht in einer weißen Vase. In schwarz und weiß sind die Bilder von Charel gefilmt. Der Film, so erfuhr ich später, heißt Meine Mama. Ich kann mich nicht erinnern, eine Mama gesehen zu haben. Wie diese Pflanze, die mich für Charel begeisterte so auf dem Tisch steht, wird sie von einem wellenartigen Spiel aus Licht, Schatten und Wind berührt.
Als ich vor dem Schneidetisch verharrend beobachte, gibt es einen Zoom von Charel auf die Pflanze. Im Hintergrund weht ein Vorhang sanft im Wind, es kommt mir vor als wären seine Muster eine Fortsetzung der Pflanze. Selbiges gilt für ein mit Pflanzen besticktes Kissen am rechten Bildrand. Dieses Bild scheint sich in der Pflanze fortzusetzen und andersherum. Schließlich zoomt die Kamera wieder heraus und offenbart den Blick auf ein typisches Wiener Wohnzimmer mit einem kleinen Balkon. Die Schatten der Pflanze bewegen sich auf dem leeren Sofa. Die kleinsten Bewegungen im Bild betören mich.
Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich bin mir sicher, dass sich Charel später im Film noch weiter an die Pflanze heranwagt. Er filmt die stacheligen Blätter, ihre sich gegenseitig durchkreuzende Art, ihre heilende Haut im beständigen Wechsel aus Licht und Schatten. Den angelernten Verhaltensweisen eines kinoliebenden Daseins folgend kam ich nicht umher die anwesende, selbst in Verzückung auf den Bildschirm starrende Archivarin zu fragen, um was für einen Film es sich denn handle und vor allem, von wem dieser gemacht wäre. Dass was sie mir in der Folge erzählte über Charel und seine faszinierende Filmwelt, die im Archiv des Österreichischen Filmmuseums wie ein Schatz liegt, wollen wir als Ausgangspunkt nehmen für eine langfristige Auseinandersetzung mit dem Kino des Charel, einem Filmemacher, über den bislang viel zu wenig nachgedacht wurde. Fortsetzung folgt…