Fragebogen: Rainer Werner Fassbinder

mit Filmkritikerin Alexandra Zawia

1. Die erste Assoziation mit Rainer Werner Fassbinder?

Chaotisch. Eigentlich schon, ja. Das bedeutet ja nichts Schlechtes und ist mir theoretisch lieber als Ordnung und Konformismus. Aus dem Chaos entstehen Dinge. Wir reden hier von einem politischen Chaos der späten 60er bis frühen 80er Jahre in Deutschland und auch von einem privaten Chaos, das er ja mit seinen Filmen verschränkt hat. Ich glaube, wenn es kein Chaos gegeben hätte, hätte Fassbinder es gesucht.

2. Ein Lieblingsfilm?

Das finde ich sehr schwierig, weil die Auswahl bei Fassbinder so riesig ist. Aber Welt am Draht ist ein Film beziehungsweise eine TV-Arbeit, an die ich mich immer wieder erinnere. Das liegt unter anderem daran, dass es der erste Film war von Fassbinder, den ich gesehen habe. Und zwar auf VHS. Der wurde ja nicht oft gezeigt. Irgendwann gab es dann mal die restaurierte Fassung auf der Berlinale zu sehen. Aber auf VHS war das ein tolles Erlebnis. Ich war da eine Teenagerin und mein damaliger Freund hat das mit mir angeschaut und der wollte eigentlich nur die ganze Zeit knutschen. Wir haben beide Teile hintereinander angeschaut und er wollte immer nur knutschen und ich wollte immer mehr den Film sehen. Ich hatte immer seinen Kopf im Bild. Ich habe da etwas gesehen, was ich nicht kannte und das obwohl ich nicht sagen würde, dass das die formal aufregendste Arbeit von Fassbinder ist. Diese existenzphilosophische Direktheit hat mich gleich gepackt. Und dieser gute Humor auch. Wenn man dann später Filme wie eXistenZ von David Cronenberg oder The Matrix von Lilly und Lana Wachowski gesehen hat, dann wusste man einfach, dass Fassbinder das schon gemacht hat. Selbst Dinge wie das überwachte Subjekt sind da schon toll gedacht.

Welt am Draht
Welt am Draht

3. Ein Fassbinder-Darsteller oder eine Fassbinder-Darstellerin?

Da würden sich einige vielleicht für bekanntere Darsteller entscheiden oder zumindest welche, die mehr Hauptrollen gespielt haben, aber ich nehme Armin Meier, weil das für mich eine sehr tragische Figur im Fassbinder-Universum ist. Das war ein Mann, mit dem Fassbinder eine Zeit lang zusammen war. Es kam dann zu einer Trennung und von dem, was man weiß, ging Fassbinder sehr rücksichtslos mit ihm um. Armin Meier hat Fassbinder offenbar sehr geliebt und hat sich einige Zeit nach der Trennung umgebracht. Er hat eine Überdosis Tabletten genommen. Fassbinder war davon sehr schockiert und hat sich auch die Schuld dafür gegeben. Er hat das dann in einem Film verarbeitet, In einem Jahr mit 13 Monden. Das ist ein großartiger Film. Da geht es um die Transsexuelle Elvira und neben deren Probleme in einer konformistischen, feindlichen Welt geht es auch ganz stark um das Drama der Liebenden, die nicht zurückgeliebt wird. Ein krasser Film, der mit ganz wahnsinnigen Gegensätzen arbeiten, die nach und nach ein inneres Chaos beim Zuseher produzieren. Fassbinder war nie subtil und er war auch nie subtil in seiner Benutzung von Popsongs und so kommt da auch die Ballade von Suicide zum Einsatz, Frankie Teardrop. Nicht zuletzt aufgrund dieses Films ist Armin Meier mein Fassbinder-Darsteller.

4. Ist Fassbinder für dich ein Feminist, ein Macho oder beides?

Ja, das ist ein sehr komplexes Thema. Fassbinder und die Frauen. Er hat ja immer gesagt, dass es ihm nicht um Feminismus oder die weibliche Emanzipation geht, sondern um Emanzipation jeden Individuums aus einer Gesellschaft, aus einem repressiven System, aus dem Kapitalismus heraus. Es geht also immer mehr um Kapitalismuskritik und um Machtverhätnisse. Das finde ich in seinen Filmen evident und wenn man Fassbinders Leitsatz folgt, den er ja auch immer vor sich hergetragen hat, „Ich bin meine Filme und meine Filme sind ich.“, dann kann man das auch auf das Thema Feminismus übertragen. Ich finde da eine große Konsequenz. Es geht in seinen Filmen immer um jeden Menschen. Ein Feminismus quasi, der alle angeht. Was für mich problematisch ist, ist dass ich in seinen Filmen eine gewisse Nähe zu Ansichten finde, die Weiblichkeit als Maskerade verstehen. Das finde ich eine problematische Theorie im feministischen Diskurs. Mein Eindruck wird verstärkt, wenn ich dann Aussagen von Fassbinder lese, in denen er sagt, dass Frauen unterdrückt seien, aber diese Unterdrückung als Terrorinstrument benützten. Da fällt mit Bremer Freiheit ein, ein Theaterstück, das er geschrieben hat basierend auf dem realen Fall einer Frau, die für 15 Giftmorde schuldig gesprochen und auch hingerichtet wurde. Ihn interessiert im Stück und auch im Film hauptsächlich das Motiv und er sagt, dass Frauen in dieser Atmosphäre der Unterdrückung psychologisch und strukturell nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten haben, sich zu wehren. Er sagt ja auch, dass sie deswegen in seinen Filmen immer wieder bestraft werden, damit der Zuseher bemerkt, dass es so halt nicht geht. Fassbinder war immer didaktisch und psychologisierend. Das ist natürlich okay so, aber öffnet halt auch ein paar Problemfelder. Auf der anderen Seite ist es so, dass alles was Fassbinder mit Frauenfiguren gemacht hat, mit Emanzipation, das ist immer noch brandaktuell. In der Hinsicht ist es erstmal egal, ob man damit übereinstimmt wie Fassbinder seine Frauen darstellt, wie er sie behandelt, welche Konsequenzen ihr handeln hat, weil es ist wichtig, dass man immer noch darüber sprechen möchte, wenn man das sieht. Das gilt generell für seine Filme. Sie altern gut beziehungsweise altern gar nicht. Das ist natürlich hervorragend und tragisch zugleich.

5. Ist Deutschland im Herbst aktuell?

Das ist schockierend wie aktuell der ist. Die „Todesnacht von Stammheim“ liefert den zeitlichen Rahmen in diesem Omnibusfilm, also Oktober 1977. Fassbinders Beitrag ist immens persönlich. Da kommen seine Mutter und übrigens auch Armin Meier vor. Mit ihm hat er einen Disput darüber im Film, wie Strafen zu setzen sind. Also wenn jemand umgebracht wird, ob der Täter dann auch umgebracht werden soll. Meier findet schon und Fassbinders Figur kann das überhaupt nicht nachvollziehen, dass plötzlich Mord legitimiert sein sollte…was ich sagen will: Es ist eine Sache, solche Prinzipien aufzustellen und eine andere, sie zu leben. Fassbinder hat sich ja völlig seinem Werk hingegeben und sich auch in der Arbeit reflektiert. Das ist in diesem Exzess und zu diesem Preis einmalig in der Filmgeschichte. Das kommt halt auch mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit, die sich nicht nur offenbart, wenn er spielt, sondern auch, wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über ihn sprechen. In Deutschland im Herbst konfrontiert er ganz direkt seine Mutter, die so Aussagen macht wie, dass sie in der aktuellen Situation niemandem empfehlen würde, zu diskutieren. Sie habe das Gefühl, dass es ein wenig sei wie in Zeiten des Nationalsozialismus, also dass man nichts sagen dürfe, ohne dass man dafür belangt würde. Später reden sie auch konkret über die Flugzeugentführung „Landshut“ und sie sagt dann, dass sie auch findet, dass für jedes Todesopfer auch ein Terrorist erschossen werden solle. Fassbinder kann das wieder nicht fassen, das könne man doch nicht so machen in einer Demokratie und seine Mutter antwortet, dass man in bestimmten Situationen nicht mit Demokratie kommen könne. Das ist so krass aktuell. Diese Dinge kehren immer wieder. Am Ende fragt Fassbinder sie, was sie denn gut fände als Staatsform und sie antwortet, dass am besten eine autoritäre Führungspersönlichkeit wäre, die gut sei und ordentlich.

Rainer Werner Fassbinder
Rainer Werner Fassbinder

6. Brauchen wir heute mehr Fassbinders oder zumindest einen Fassbinder?

Es ist so wichtig, dass es Menschen gibt, die sich durch eine Kunst mit sich und der Welt auseinandersetzen. Heute ist das leider aufgrund verschiedener Faktoren im Kino oft nicht mehr der Fall. Man spürt stattdessen oft eine gewisse Entfremdung zwischen dem Künstler und seiner Kunst. Das betrifft ja nicht nur den Filmbereich, das betrifft zum Beispiel auch die Kritik. Man sagt ja immer, dass man sich Haltung leisten können muss. Das stimmt auch oft. Man bekommt heute selten Geld für eine Haltung. Die Systeme mahlen weiter, man lernt nicht aus der Geschichte. Allein deshalb ist Fassbinder so wichtig. Man kann von ihm lernen wie man Haltung hat und wie konsequent das durchzuziehen ist.

7. Was für einen Film würde Fassbinder heute drehen?

Ihm würde sicher etwas einfallen. Es gibt genug, wo man anecken kann, wenn man nicht gefällig denkt. Es gibt genug, mit dem er nicht zurechtkommen würde. Es gibt genug, mit dem unsere Gesellschaft nicht zurechtkommt. Themen wie Unterdrückung, Entfremdung, Diskriminierung oder Ausgrenzung sind leider allgegenwärtig. Ich glaube auch, dass er formal einige fände, um sich aufzulehnen. Mich würde sehr interessieren, was er zum gegenwärtigen Kino sagt. Als Kritikerin kann ich sagen, dass ich schon auf so etwas warte unbewusst wie Liebe ist kälter als der Tod. Zu sehen wie ein Bild eine Sprache hat, die nicht mehr übersetzbar ist. Ich könnte mir vorstellen, dass er neben dem politischen auch ein formales Engagement aufbringen würde heute.

8. Welche Frage würdest du Fassbinder stellen wollen?

Ich weiß nicht, was ich ihn fragen würde. Vielleicht was das für eine Liebe war, die ihn umgetrieben hat. Man muss doch schon eine starke Liebe in sich tragen, sich so wie Fassbinder durch und durch abzuarbeiten an der Gesellschaft, an der Geschichte, an sich selbst. Ich glaube nämlich nicht, dass das Wut war.