The Other – Küchengespräche mit Rebellinnen

Dieser Text von Lisbeth N. Trallori erschien in der EMMA 1985.

Karin Berger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori, Elisabeth Holzinger

Sie heißen Rosl, Anni, Zala. Keiner kennt heute ihre Namen. Die Gestapo damals kannte diese Namen sehr gut. Rosl, Anni, Zala und die anderen leisteten Widerstand gegen das Nazi-Regime.

Adieu männliche Geschichtsschreibung, adieu politische Ignoranz und Borniertheit! Grabe, wo Du stehst! – von uns Frauenbewegten wörtlich genommen als Motiv für ein Projekt, aus dem ein Film und ein Buch geworden sind. Was uns interessierte, war die andere Hälfte des Widerstands. Nicht die Hälfte des Himmels, sondern die in der faschistischen Hölle; Frauen, die sich gegen Terror und Menschenverachtung, gegen die Übergriffe der NS-Diktatur gewehrt haben. Frauen, die unsere Mütter und Großmütter sein könnten. Furchige Gesichter, abgearbeitete Hände, hie und da ein verschmitztes Lächeln – wie gewohnt.

Und doch unterschieden sie sich von einem Großteil unserer Bevölkerung, sie sagten nein, wo viele ja schrien, erhoben ihre Hand nicht zum Hitler-Gruß, sondern ballten sie zu Fäusten. Dass wir 40 Jahre nach Kriegsende spät dran waren, war uns bewußt. Doch es galt, Spuren zu sichern, noch ehe sie der Gegenwind endgültig verwischt hatte. Unser Wunsch war, die Rebellinnen in unserem Land zu entdecken, in dem Kadavergehorsam und Anpassung zu den gewünschten Tugenden gehören. In einem Land, in dem ein Minister einen NS-Kriegsverbrecher auf Staatkosten per Flugzeug abholen und ihn mit Handschlag begrüßen kann, ohne seines Amtes enthoben zu werden. Auf der Suche nach dem bislang unbekannten weiblichen Widerstand haben wir Akten studiert und Berichte gelesen, sind in die entlegensten Dörfer gefahren, haben dort Erkundigungen nach den damals Aktiven eingezogen. Was war aus ihnen geworden? Haben sie überlebt?

Johanna “Zala” Sadolschek

Zum Beispiel: Zala. Ein Foto von ihr, entdeckt in einem Buch über den Kärntner Partisanenkampf, diente als einziger Anhaltspunkt. Zwischen zwei Männern stehend, in Partisanenuniform, blonde Zöpfe, die Arme nonchalant in den Hosentaschen. Eine Aufnahme aus dem Jahre 1944. Das Buch unter den Arm geklemmt und in die Berge Südkärntens gefahren! Widersprüchliche Auskünfte, die wir in der Ortschaft im Tal erhalten, erschweren unsere Recherchen. Nach einigen Irrfahrten auf abseits gelegenen, steilen Wegen, eröffnet sich eine Hochebene, Wiesen, dazwischen ein Bauerngehöft samt Stallungen, davor ein Bienenhaus. Auf mein Klopfen hin erscheint eine Frau im Vorraum, gestützt auf ihren Stock. Obwohl sie eine Brille trägt, erkenne ich sie an ihren Augen, an dem ungetrübten Blick. Zunächst ein Zögern. Zala war mißtrauisch, weil gerade in Kärnten die faschistische Vergangenheit nicht überwunden ist, weil Frauen wie sie noch heutzutage als “Banditinnen” diffamiert werden. Vorerst war da nichts zu machen. Nach einem Briefwechsel kam schließlich eine Zusage. Als wir im Spätsommer mit der gesamten technischen Ausrüstung bei ihr landeten, schickte sie uns neuerlich zurück. Wichtigeres in der Landwirtschaft war zu tun. Erst ein Jahr später klappt es, die anfängliche Zurückhaltung ist verschwunden. Wir sind uns dann sehr nahegekommen. Mit anderen slowenischen Bauernmädchen schließt sich Zala in der ersten Frauengruppe zusammen, später organisiert sie in ganz Kärnten die antifaschistische Frauenfront. Die militante Freiheitsbewegung unterstützt sie tatkräftig mit Lebensmitteln und Informationen. Im Herbst 1943 wird sie gefangen genommen. Flankiert von einer stark bewaffneten Wachmannschaft führt man sie während einer Oktobernacht durch Fichtenwälder. Sie soll einen “Bunker” der Partisanen preisgeben. Trickreich gelingt es ihr, die Fesseln allmählich zu lockern. Als sie bemerkt, dass neben ihr das Gelände abfällt, wirft sie sich den Geröllhang hinunter. Brombeerstauden zerfetzen ihre Kleider bis auf die Haut. Hinter ihr steigen Leuchtraketen auf, machen die Nacht zum Tag, die Gestapo ballert den Hang hinab – vergeblich. Als Partisanin tauschte Zala ihr wohliges Bett gegen die Lagerstatt im Freien, den Rechen gegen ein Gewehr. Ihre heutigen Schilderungen zeichnen die Schattenseiten nach, lassen erkennen, warum sie sich abpanzern mußte, um all das zu überstehen. Kurz nach ihrer gelungenen Flucht üben die Nazis Rache. Sie äschern den heimatlichen Hof ein, verschleppen zwei ihrer Tanten ins KZ. An Zalas Gürtel hängt eine Handgranate, für sie selbst bestimmt. Den Faschisten nicht lebend in die Hände zu fallen, ist ihre Parole. Zuviel der Greuel, die sie erlebte, zuviel der Massaker unter der Zivilbevölkerung, die sie mitansehen mußte. Den Geruch verkohlter Menschenteile in den niedergebrannten Dörfern, in denen die Nazis gewütet hatten, kann sie nicht mehr vergessen. Auf der Heimfahrt nach Wien verlassen uns diese Bilder nicht mehr. Bei den Dreharbeiten ist viel aufgebrochen: die Bilder verdichten sich zu Fragen, wie wir uns selbst verhalten hätten in der damaligen Situation. Fragen, die uns bedrängen.

Agnes Primocic

Agnes Primocic? Oh doch! Im Kaffeehaus, in dem wir eine Rast einschalten, nicken die Leute. Ihr Name ist ihnen geläufig. Zwar können sie uns keine Straße nennen, wissen aber genau, wo sie wohnt: In Griesrechen, einer Arbeitersiedlung am Rande von Hallein. Sie werkt gerade im Garten. Eine agile Frau, helle Schürze. Schlohweißes Haar, das am Hinterkopf ordentlich verknotet ist, ovaler Gesichtsschnitt, derselbe schwarze Ohrring seit ihrer Jugend. Ehemals Tabakarbeiterin, nunmehr in Pension. Keine romantische Carmen, ihre Leidenschaft galt der Politik. 1934, als in der Kälte des Februars die österreichischen Arbeiter ihren Aufstand probten, hielt sie ihre ersten öffentlichen Reden, auf einem Schneehaufen. Als Betriebsrätin in einer Fabrik, in der vorzugsweise Mädchen für die staubige Arbeit mit den Tabakrollen eingesetzt werden, steht sie voll und ganz hinter dem ausgerufenen Generalsteik. Agnes fordert die männlichen Kollegen im Salinenbetrieb und in der Brauerei zum gemeinsamen Aufstand auf. Man wimmelt sie ab. Die Tabakarbeiterinnen bleiben die einzigen, die streiken. Seit dieser Zeit vertritt sie die Ansicht, daß auf Männer kein Verlaß sei. Schon als Kind verdient sie ihren Lebensunterhalt mit Herdputzen. Das Geld reicht kaum für das Nötigste. Bücher, die sie heiß liebt, kann sie sich keine leisten. Aus der Pfarrbibiliothek entlehnt sie sozialkritische Romane von Jack London und Traven. Bebel hat es ihr besonders angetan, weil sie dort erstmals erfährt, daß es ein Matriarchat gegeben hat. Sie ist ganz Clanmutter. Wie bedrückend ist es heute noch für sie, über den Tag ihrer Verhaftung zu berichten. Plötzlich bricht sie in Schluchzen aus. Gendarmen durchwühlten die ganze Wohnung und nahmen sie einfach mit, ungeachtet, daß ihre kleine Tochter Mauxi an Lungenentzündung litt. Und dennoch – sie wußte, es war richtig, was sie getan hatte. Sie, die nie einer Katze oder einem Hund etwas zuleide tun konnte, war empört über das, was der Hitler-Faschismus aus den Menschen machte: Sie wurden zu Spitzeln und Denunzianten, zu Gehässigen und Massenmördern. Trotz des Versprechens, das sie ihrem Mann gegeben hatte, nämlich politisch nichts mehr zu tun, blieb sie weiterhin aktiv. Sie konnte nicht ablehnen, als man sie bat, KZ-Flüchtlingen das Leben zu retten und dafür ihr eigenes zu riskieren.

Rosl Großmann-Breuer

Oder Rosl Grossmann-Breuer. Die Film-Aufnahmen über diese Rebellin machen wir Anfang März, die Gegend ist tief verschneit, wir ziehen die Kamera auf einem Schlitten zu ihrem Holzhaus. Rosl zeigt uns den Weg mit Schiern voran. Eine heiße Suppe hat sie uns vorbereitet, zum Aufwärmen. Rosl kenne ich seit Jahren, sie ist die Mutter einer Freundin. Doch erst als wir unser Projekt starten, uns überall umhorchen, erfahre ich von ihrem Sprung aus dem 4. Stock der Gestapozentrale in Wien. Ein Sturz, der ihr die Freiheit brachte. Um den Preis schwerster Verletzungen, um den Peis eines monatelangen Zwangsaufenthalts im Inquisitenspital. Ehe sie irgendeinen Menschen verraten hätte, hätte sie sich lieber die Zunge abgebissen. Der Gedanke, daß jemand durch sie hochgehen könnte, ist ihr ein Alptraum – Noch heute, wenn sie sich daran erinnert.

Anni Haider

In einem Altersheim in Linz stöberten wir Anni Haider auf, eine Wienerin, die hier ihren Lebensabend verbringt. Das Heim liegt direkt an der Bundesstraße, innen herrscht eine ruhige und freundliche Atmosphäre. Anni ist die älteste der Akteurinnen, mit denen wir vor laufender Kamera über ihre Lebensgeschichte sprechen. Seit Jahren schon laboriert sie an einem Herzleiden. Ihre Erfahrungen uns mitzuteilen, ist ihr trotzdem ein Bedürfnis. Trotz der Furcht vor dem Aufbrechen oberflächlich verheilter Wunden. Überraschend für uns ist der herzliche Empfang. In dem kleinen Zimmer biegt sich der Tisch voller Leckereien, Krapfen und Schinken. Sofort ist sie in ihrem Element, faszinierend durch ihre Vitalität. Im Wienerischen heißt das: “Schmähführerin”. Die Szenen im Gefängnis stellt sie nach, berichtet von ihren Bravourstücken mit ansteckendem Humor: Wie sie im Beichtstuhl dem Gefängnis-Pfarrer antifaschistische Reden “von draußen” vorliest; wie sie Zeitschriften auf winzigen Zettelchen herstellt, die dann heimlich in alle Gefangenenhäuser in Wien verteilt werden. Sie ahmt den Tonfall der Klosterschwestern nach, mit denen sie im Inquisitenspital gemeinsame Sache machte. Das Bittere des Erlebten und ihre Trauer werden in den langen Geprächs-Pausen spürbar. Über Monate hinweg gab es Kontakt mit den vom Regime zum Tod verurteilten Mitkämpferinnen, die in den Zellen direkt unter ihr waren. Was blieb zu tun, als diese Verbindung nicht abreißen zu lassen, aufzumuntern, Trost zu senden über eingeschmuggelte Kassiber. Bis sie dann selbst in der Todeszelle saß, ungewiß, wann man sie aufs Schafott holen würde. Wachträume und unerfüllte Sehnsüchte waren ihr Strohhalm. Das intensive Gesumme der Bienen, das Bad im kühlen Wasser der Donau erlebt sie in der Phantasie. Mit dem einzigen Lebewesen in ihrer Zelle, einer Spinne, hält sie Zwiegespräch. Amseln, die zu ihr auf die Luke kommen, füttert sie mit den Brotstückchen, die sie von ihrer tagtäglichen Essensration abgezweigt hat. Diese Vögel werden auch ihre Grüße übermitteln, Grüße an den Sohn und an den verhafteten Mann; dessen ist sie sich gewiß. Sich nicht hinter den Kerkermauern kleinkriegen zu lassen, ist Teil ihres Widerstands.

Wir wollten, dass diese “Küchengespräche” nicht in der Küche bleiben. Im Schneideraum haben wir uns von der Dramaturgie, die den Geschichten dieser Widerstandsfrauen innewohnt, leiten lassen. Die Poesie ihrer Erzählungen sollte durch keinen unnötigen Kunstkniff gebrochen werden. Wir wollten den Zuschauern eine Begegnung mit diesen Frauen ermöglichen, die keines Kommentars bedurfte. Eine Begegnung, die schon längst fällig war.

Alle Fotos: Karin Berger

Küchengespräche mit Rebellinnen
A 1984, 80 min. Buch, Schnitt, Regie: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori / Kamera, Ton: Gerda Lampalzer / Musik: Carla Bley / Produktion: Medienwerkstatt Wien / Mit: Rosl Grossmann-Breuer, Anni Haider, Agnes Primocic, Johanna Sadolschek-Zala

Am 19. März und 10. April 2023 zu sehen im Filmmuseum in der Reihe “Collection on Screen: The Other”.