Peter Lorre: Augen schauen Dich an – B wie Beruf

Elisabeth Streit

Der Verlorene, BRD 1951, Peter Lorre

Als Peter Lorre nach dem Konkurs seiner Produktionsfirma nach Europa zurückkehrte, wohnte er in zweitklassigen Hotels, tourte durch deutsche Kriegslazarette und neu gegründete Amerikahäuser. Er versuchte sich im Winter 1949/50 mit Edgar-Allan-Poe-Lesungen, mit denen er sich durch ganz Deutschland las, über Wasser zu halten. Außerdem hoffte er wieder ins Filmgeschäft einzusteigen zu können. Seine zweite Ehe war u.a. am Bankrott seiner US-Filmproduktionsfirma gescheitert. Dieser Umstand und die Strapazen der Rückkehr in die Heimat veranlassten ihn, sich in Wiggers Kurheim nach Garmisch-Partenkirchen zur Erholung zurückzuziehen. Hier trafen sich Lorre und Bert Brecht zum letzten Mal. Brecht schrieb an Elisabeth Hauptmann, dass Lorre trotz seiner Krankheit “so frisch wie eh und je” gewirkt hätte. Er wollte ihn für sein Ensemble haben, das sich gerade im Aufbau befand, doch Lorre lehnte ab. Unter den Besuchern, die Lorre während seiner Kur aufsuchten, waren noch weitere alte Freunde aus den 1930er Jahren. Der Drehbuchautor Axel Eggebrecht, der während des Naziregimes in Deutschland geblieben war und unter einem Decknamen als Drehbuchautor, Assistent und Kritiker weitergearbeitet hatte und der Schriftsteller und Journalist Egon Jameson (Jacobsohn), der vor den Nazis nach Großbritannien fliehen konnte, kamen ebenfalls nach Garmisch zu Besuch.

Jameson machte Peter Lorre auf eine kurze Zeitungsnotiz über den Selbstmord eines Lagerarztes aufmerksam. Lorres Interesse war geweckt und so er begann mit der Arbeit an einer Verfilmung des Stoffes. Arnold Pressburger, ebenfalls aus dem Exil zurückgekehrt, fungierte als Produzent. Mit seiner einzigen Regiearbeit kehrte er zu seinen Wurzeln zurück. Ganz im Stegreifspiel Jacob Levy Morenos verhaftet, gab es zwar einen detaillierten Drehplan und eine festgelegte Handlung, ein richtiges Drehbuch existierte aber nicht wirklich. Die Schauspieler*innen waren dazu angehalten innerhalb ihres Charakters immer wieder zu improvisieren. So knüpfte Peter Lorre mit Der Verlorene in der jungen BRD auch an jenes filmische Erbe an, das er, zusammen mit vielen anderen Künstler*innen in der Weimarer Republik hinterlassen hatte. Indem er sich vom gespielten Charakter distanzierte, lud er die Figur in bester epischer Manier und ohne falsches Pathos auf. Ausgestattet mit einer neuen Identität als Dr. Neumeister rechnete Lorres Charakter stellvertretend für Deutschlands Rolle während des Nationalsozialismus u.a. mit Mitläufer*innentum und bequemer Naivität ab. Obwohl die zeitgenössische Kritik den Film äußerst positiv aufgenommen hatte, wurde er vom Publikum dennoch abgelehnt. Es vergingen etliche Jahre, bis er in den 1980ern endlich wiederentdeckt wurde und seitdem ist er aus Cinematheken und deren Spielpläne nicht mehr wegzudenken.

Literatur

Omasta/Mayr/Streit, Peter Lorre. Ein Fremder im Paradies, Wien: Zsolnay 2004.

Farin/Schmid, Peter Lorre: Der Verlorene, München: belleville 1996.