Claude Sautet – Une histoire simple

Einführung von Elisabeth Streit gehalten am 18. Mai 2023 im Rahmen der Retrospektive Claude Sautet & Jacques Becker im Österreichischen Filmmuseum.

Une histoire simple, 1978, Claude Sautet

In ihren gemeinsamen Arbeiten hieß sie zweimal Hélène, einmal Lili, Rosalie und wie im heutigen Film Marie. Die Rede ist natürlich von Romy Schneider, die fünf Mal mit Claude Sautet als Schauspielerin gearbeitet hat. Wir sehen heute ihre letzte Zusammenarbeit aus dem Jahr 1978. Romy Schneider wünschte sich von ihm einen Frauenfilm und Claude Sautet hat ihr diesen Wunsch erfüllt. Auf die Zusammenarbeiten rückblickend ist Une histoire simple ein wunderbarer und im Sautetschen Œuvre ein fast optimistischer Ausblick, denn hier geht Marie, trotz aller Widrigkeiten tatsächlich gestärkt in eine Zukunft, die wir nicht mehr zu sehen bekommen. Für die Schauspielerin Romy Schneider war die Zusammenarbeit mit Claude Sautet ein Glücksfall, denn hier verbindet sich ihr Spiel auf unaufdringliche Weise, mit einer Art von “schauspielerischer Natürlichkeit” und die Rollen in den Sautet Filmen überstrahlen endlich das medial zelebrierte angebliche Skandalleben von Romy Schneider.

Blicken wir kurz zurück, wie es dazu kam. An der Seite ihrer ehrgeizigen Mutter Magda Schneider hatte Romy Schneider in Wenn der weisse Flieder wieder blüht ihr Leinwanddebut gegeben. Hier beginnt auch das Raum zu bekommen, was Romy Schneider gemeinhin immer als ‘Natürlichkeit’ ausgelegt wurde. Wenn wir uns aber darauf besinnen, dass Schauspielen per se alles Andere als ‘natürlich’ ist, dann können wir uns allenfalls auf den Terminus der ‘natürlichen Darstellung’ einigen. Gerade das aber wurde bei Romy Schneider ihr ganzes Leben lang gerne übersehen, weil sie die so jung und ohne Ausbildung in das Filmgeschäft als Tochter eines berühmten Schauspielerehepaares eingestiegen war, und durch ihre eigene Aussage, dass sie im Film alles und im Leben nichts könne, diese Zuschreibungen noch bestärkte. Durch die Vermittlung der viel beschäftigten Mutter Magda Schneider, kommt Romy Schneider direkt vom Internat aufs Filmset. Ihrer Mutter gelingt damit ein doppelter Coup: Einerseits hatte sie erkannt, dass sie dem deutschen Nachkriegsfilm in Gestalt ihrer Tochter eine ordentliche Frischzellenkur angedeihen lassen konnte und andererseits konnte sie an der Seite ihrer Film-Tochter ihre eigene Leinwandkarriere als Film-Mutter verlängern. Im übertragenen Sinn könnten wir hier an eine gelungene Widerspiegelungsphantasmagorie denken, bei der sich die Mutter über die Leinwand an ihrer Tochter kinotauglich vampiristisch verjüngt und die Natürlichkeit sich einzig und allein auf die familiäre Bindung zurückführen lässt. Der Rest ist Erfindung.

An der Seite Claude Sautets schaffte es Romy Schneider, sämtliche französischen Filmstars hinter sich zu lassen und als französischer Star in die Geschichte des europäischen Kinos einzugehen. Die Filmrollen, die für das Image der Starpersona Romy Schneider ausschlaggebend sind, erlangen im Falle des Mythos ihre Bedeutung, wenn es darum geht, ihre inneren Widersprüche aufzuzeigen, die auch in ihren Rollen immer vorzufinden sind. Romy Schneider, dieses Bild soll vermittelt werden, spielte keine eindimensionalen Figuren, denn wenn sie die eine Seite zeigte, so gestaltete sie immer auch das Gegenteil mit und dieser Aspekt durchzieht alle ihre Rollen. Sie ist die Verkörperung der heiligen Sünderin und als solche die Darstellung der modernen Frau, die es sich erlaubt zu lieben, wie Männer es tun, die selbst ihre Liebhaber aussucht, die vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckt und für die Liebe alles tut. Sie weiß aber auch, dass sie viel zu verlieren hat und meist ahnt sie, dass es kein gutes Ende nehmen wird. So verleiht sie ihren Figuren eine innere Ambivalenz, die wiederum auf ihr darstellerisches Genie zurückzuführen ist, eben jenes Gegensätzliche, das es vermag, die wunderschöne, verführende, wissende Frau, der niemand widerstehen kann, mit der tugendhaften Unschuld und Lebensfreude eines Mädchens, die jeden mitreißt, zu verbinden und Eins werden zu lassen.

Sie ist schön, und ihre Schönheit hat sie sich selbst geschmiedet. Sie hat eine Mischung aus gefährlichem Charme und tugendhafter Reinheit. Sie ist so erhaben wie ein Allegro von Mozart und ist sich der Macht ihres Körpers und ihrer Sinnlichkeit voll bewusst. Ich habe sie zum ersten Mal in einem schlecht beleuchteten Gang in Billancourt getroffen. Ich habe sie nicht angesprochen. Ich spürte vage ihre Intelligenz, aber auch, dass sie noch viel mehr Gaben besitzt. Ich kannte sie nicht, hatte sie in keinem Film gesehen, nicht einmal in Sissi. Gleich zu Beginn der Dreharbeiten zu Die Dinge des Lebens begriff ich, dass ich das Glück gehabt hatte, eine Frau und Schauspielerin in einem tragischen Augenblick zu treffen. Denn Romy ist eine strahlende und zugleich gequälte Frau; eine Schauspielerin, die schon alles wusste, es aber noch nie hatte ausdrücken können. Romy hat eine unglaubliche Lebendigkeit, die geradezu animalisch ist. Ihr Gesichtsausdruck kann sich abrupt verändern, von männlich-aggressiv in sanft-subtil. Romy ist keine gewöhnliche Schauspielerin, sie steht sehr hoch am Firmament. Sie hat diese Vielschichtigkeit, die nur die ganz groβen Stars haben. Ich habe sie hinter der Kamera gesehen, konzentriert, nervös, mit einer Vornehmheit und Impulsivität, einer inneren Haltung, von der Männer sich bedrängt und gestört fühlen. Romy erträgt weder die Mittelmäβigkeit noch den Verfall von Gefühlen. Sie hat sehr viel Gefühl. Sie wird immer als Schauspielerin arbeiten, denn sie hat ein Gesicht, dem die Zeit nichts anhaben kann. Die Zeit kann sie nur aufblühen lassen. (Claude Sautet über Romy Schneider)

Im Glanze ihrer Schönheit und ihres Talents ist Romy zum Symbol moderner Weiblichkeit geworden – stark und zärtlich, emanzipiert und gescheit, bestimmt sie selbst über sich und ihre Karriere in einer toleranter gewordenen Zeit.
Auch Hildegard Knef beschreibt aus ihrer Sicht das Verhältnis von Romy Schneider zu ihren Regisseuren äusserst treffend: “Claude Sautet wird zum copain, zum Freund, der die Einmaligkeit ihrer Reize, die Überfülle ihres Talents erkennt und dementsprechend Rollen findet. War Visconti der feuerspeiende Diktator, Orson Welles der scheu bewunderte Vaterersatz, wird Sautet zunehmend zum unersetzlichen Vertrauten.”

Und Romy Schneider selbst sagt über Claude Sautet:

Claude Sautet hat mir Vertrauen entgegengebracht, wo so viele andere mich für eine schöne, aber dumme Frau hielten. Er hat für mich Rollen geschaffen, Menschen mit verschiedenen Facetten, komplexe Persönlichkeiten, perfekte Porträts der modernen Frau. Frauen, die für ihre Emanzipation kämpfen und heute noch fürchterliche, riesige Vorurteile aufgrund ihres Frauseins erdulden müssen. Die Zusammenarbeit zwischen Claude Sautet und mir war so, dass es schwer zu sagen ist, ob er einen Beitrag zum Entstehen meiner Filmpersönlichkeit geleistet hat, oder ob ich ihm die menschliche Dimension dieser Frauen vermittelt habe. ‘Eine einfache Geschichte’ spiegelt all meine Probleme und all das, woran ich glaube, wider. Aber ohne Sautets Hilfe hätte ich mich niemals ausdrücken können. Er bat mich, tief in mich hineinzublicken und alles auszudrücken, sogar das, was ich niemals zugeben wollte.

Mit großer Leichtigkeit und Trauer zugleich erzählt Une histoire simple nicht die im Titel versprochene einfache Geschichte. Sautet zeichnet hier ein vielschichtiges und lebendiges Portrait von Frauen die allen Widrigkeiten des Lebens mit erhobenem Haupt die Stirn bieten. Romy Schneiders entschlossen-zufriedenes Gesicht in der letzten Einstellung bleibt ein uneingelöstes Versprechen, denn die Selbstbestimmung von Frauen ist bis heute heiß umkämpftes Terrain.