Der Mann mit dem goldenen Pinsel

oder: VALIE EXPORTs Tapp- und Tastkino reloaded and distorted

Paolo Caneppele & Günter Krenn

Friedensreich Hundertwasser wird zu Beginn des Films Der Mann mit dem goldenen Pinsel (1969) zum Genie erklärt, was sich jedoch auf seine Verkaufskünste bezieht und nicht als künstlerische Wertung zählt. Damit ist auch bereits viel über den Film ausgesagt. Hundertwassers ebenso unbekannter wie unbegabter Münchener Kollege Archibald Zirngiebel (Willi Colombini) erkennt in einer seiner obligaten finanziellen Notlagen, wie auch er verkaufsträchtige Bilder schaffen kann und wird dadurch wie sein merkantiles Vorbild Hundertwasser zum titelgebenden “Mann mit dem goldenen Pinsel”. Was sich verkaufen lässt, erkennt Zirngiebel, ist wahllos auf Leinwand applizierte oder an vorher bemalten weiblichen Körperformen daran abgewischte Farbe. Wie sein österreichisches Vorbild hält auch Zirngiebel nackt eine provokante Rede vor den Besucher*innen einer Ausstellung. Gegen Ende des Films wirft er Kuhmist auf ein Gemälde und verleiht der Kunst somit auch olfaktorische Qualität, möglicherweise inspiriert durch Piero Manzonis Aktion Merda d’artista aus dem Jahr 1961.

Bilder sollen gegen das Establishment protestieren, befindet Zirngiebel. Allerdings nur so weit, dass dieses trotzdem seine Werke kauft – und ihn ähnlich reich macht wie seine Kundschaft. Die Dramaturgie offenbart daher eine seltsame Verbrüderung beider Gruppen, denn die Demonstrant*innen rufen “Ho – Ho – Hautevolee” statt “Ho-Ho-Hot Chi Minh!” Man mag an Aktionismus denken, an Yves Klein, Jackson Pollock, Body Painting und, da es ein Film ist, auf eine ironische Komödie hoffen, zumal die “Expert*innen” vor und hinter der Leinwand mehr an sich selbst als an Kunst interessiert sind.

Hier läge satirisches Potential für einen dramaturgisch geschulten Drehbuchautor, Der Mann mit dem goldenen Pinsel entpuppt sich allerdings nicht als Kunstparodie, sondern gehört in eine Kategorie, die der Semiotiker Ugo Volli als “Pornokitsch” bezeichnet hat:[1]

“Neben der klassischen Kunst haben die Herausgeber der pornographischen Zeitschriften und ihre unternehmungsfreudigen Photographen eine neue Kunst entdeckt, die darin besteht, ein Modell zu bemalen: einmal erhält es das Aussehen eines Engelchens, ein andermal wird es weniger naturalistisch mit Pünktchen oder Kringeln, mit mehr oder weniger welligen und psychedelischen Linien und Streifen bedeckt; das Ganze wird dann als Werk von höchstem ästhetischem Interesse hingestellt.”

Die Kritik an Der Mann mit dem goldenen Pinsel war dementsprechend ernüchternd. “Was in dieser deutschen Produktion herauskommt, ist eine reichlich müde Blödelei mit viel Busen- und Popogewackel” schreibt der Kurier am 23. August 1969. “Ein Alptraum” befindet der Express am selben Tag.

Regisseur Franz Marischka setzt bei der italienisch-deutschen Produktion vordringlich auf die Wirkung nackter Körper, flache Witze und platte Anzüglichkeiten. Neben Gags im Stil von “Haben Sie ein Bad genommen?” – “Wieso, fehlt eines?” überraschen Einfälle wie jener, bei dem Archibalds Freund Egon mit einem “SCHEISS NAZIS”-Schild demonstriert. Er solle keine schweinischen Worte verwenden, befindet Archibald und löscht “NAZIS” von der Tafel.

Die deutsche Version des Films zitiert wahllos zeitgenössische Künstler und TV-serien (Vico Torriani, Aktenzeichen XY). Bei der Erwähnung der damals populären Kommissar X-Filmreihe (1965-1971) muss ein Mann im Neopren-Anzug im Bildhintergrund einen Teich aktionsreich durchschwimmen. Unvermittelt kommt auch eine kurze Parodie auf David Leans Welterfolg Dr. Zhivago (1965) vor. Selbst der pittoreske deutsche Titelhändler “Konsul” Hans-Hermann Weyer (eigentlich Hans-Hermann Weyer-Graf von Yorck) erhält als Medien-Phänomen jener Tage seinen Auftritt.

Ein weiterer Zeitbezug ist auch ein unverhohlenes Plagiat der Idee von VALIE EXPORTs Aktion des “Tapp- und Tastkino”, das 1968, ein Jahr vor dem Dreh des Films, in München stattfand. In einer viereinhalbminütigen Szene wird gezeigt, wie vier Mädchen in einem Pappkarton mit zwei Öffnungen über dem Oberkörper vor dem Münchener Wittelsbacherbrunnen stehen. Marktschreierisch preist Egon, dargestellt vom deutschen Schauspieler Rainer Basedow, die Neuheit des Tastkinos an, das als cinema verité bezeichnet wird:

“Meine Herrschaften, nicht umsonst haben Sie in dieser herrlichen Stadt, der Weltstadt mit Herz, jedes Jahr im Spätsommer keine Internationalen Filmfestspiele, keine Biennale, keinen festen Begriff für schlechte Filme, Schiebung, versnobte Kritiker und Korruption, auf Deutsch: Manipulation! Und trotzdem befindet sich der europäische Film, wie Sie alle wissen, seit längerer Zeit in seiner schwersten Krise und mir ist es gelungen, diesen ekelerregenden Zustand endgültig zu beseitigen, denn jetzt ist es da, das Cinema veritè, das wahre, echte Kino der Wahrheit, das Tastkino! […] Es gibt keine unzufriedenen Besucher mehr, keine unzufriedenen Gesichter und keine Unbefriedigten nach der Vorstellung. Endlich ist er da, der echte Kontakt vom Darsteller zum Publikum. Aber prüfen Sie selbst meine Herren, machen Sie sich ein paar schöne Stunden und kommen Sie in das Tastkino. Die erste Vorstellung beginnt nur für Jugendliche über 18. Und die freiwillige Selbstkontrolle ist jeder Besucher persönlich.”

Der Mann mit dem goldenen Pinsel, 1969, Franz Marischka

Jede und jeder darf sich beim intimen Kontakt mit dem Inhalt der an den vier Frau angebrachten Boxen seinen eigenen Film imaginieren, auch das Genre selbst wählen, wobei der “Veranstalter” dies mit anzüglichen Witzen untermalt. Ein Journalist erhält gratis eine “Pressevorführung”, ein Polizist darf eine “amtliche Kontrolle” vornehmen, womit auch das Thema der Zensur persifliert wird. Im Gegensatz zu EXPORTs Performance, benützt auch eine Frau das Tastkino.

Der Bezug dieser Szene zu der Performance feministischen Avantgarde-Künstlerin VALIE EXPORT ist offensichtlich. Sie wurde 1968 zum ersten Mal veranstaltet und danach mehrmals an verschiedenen Orten wiederholt. Am 14. November 1968 trat EXPORT in Begleitung von Peter Weibel auf dem Karlsplatz in München auf:

“Durch ein Megaphon sprechend lud Weibel, der neben Export stand, die Öffentlichkeit zum Besuch des ‘Kinos’ ein. […] Weibel begleitete die Aktion des Weiteren verbal durch eine Rede über die ‘entfremdete Kommunikation’ im Kino und die Filmindustrie, die den “Exhibitionismus auf der Leinwand” und den ‘Voyeurismus im Publikum’ nur förderten.“[2]

Die Aktion erfuhr ein breites Medienecho und inspirierte zweifellos die Drehbuchautoren von Der Mann mit dem goldenen Pinsel (der seine Premiere am 4. Juli 1969 hatte), Horst Hächler und Claudio Rainis, wobei zweiterer vermutlich eher für die Adaption des Films für den italienischen Markt verantwortlich war. Die zeitnahe Umsetzung der Aufsehen erregenden Aktion von VALIE EXPORT im Film macht die Produktion zum instant movie, also einem Streifen, der rasch produziert wird, um einem aktuellen Ereignis gerecht zu werden.

Die Filmbilder gleichen denen aus der Dokumentation über VALIE EXPORTs Aktion. Allerdings nur was die feixende Miene der Konsumenten betrifft. EXPORTs ironisch lächelnder Blick fehlt, der Gesichtsausdruck der zur Schau gestellten Damen ist bemerkenswert unglücklich oder gelangweilt und widerspricht dem der anderen Protagonistinnen im Film, die stets gute Miene zum trivialen Spiel machen. Kurios mutet an, dass eine Performance, die gerade zur Anprangerung des Voyeurismus in damaligen Produktionen erfunden wurde, in einem Film vorkommt, der vom Voyeurismus lebt. Die Ziele von VALIE EXPORT werden, auch wenn die Optik fast ident mit dem Original anmutet, durch den gegensätzlichen Kontext völlig umgedeutet.

Eine wichtige Differenz unterscheidet beide Aktionen. VALIE EXPORT lässt sich von den “Besuchern” ihres Tapp- und Tastkinos nicht bezahlen, sie begrenzt die “Vorstellung” dank eines Chronometers auf 30 unentgeltliche Sekunden, während Egon von seinem Publikum die damals nicht geringe Summe von 2 Mark und 50 Cent verlangt. Egons Kommentare widersprechen VALIE EXPORT, die ihre Aktion als das erste feministische Kino bezeichnete:

“Die Frau ist ein zentrales Thema des Films. Der Film aber muß aus dem Kino heraus, ins Volk gebracht werden. Außerdem ist das besser als die derzeit gängigen Produkte des Kommerzfilms. Der Kommerzfilm bietet Surrogate, wir bieten wirklich etwas. Noch dazu ist die Brutalität dieser Exhibition ein wirksames Mittel gegen den grassierenden Voyeurismus.”[3]

Auf die Akzeptanz ihrer Ideen musste VALIE EXPORT noch ein paar Jahre warten, selbst ihre Wiener Kollegenschaft tat die Aktion als “private Aussage” ab, die wenig mit Kunst gemein habe. Erst “etwa um 1972 [ist] den Wiener Kollegen klar geworden, daß Feminismus auch etwas mit einem neuen Kunstbegriff zu tun hat.”[4]

Vergoldete Pinsel, nuda veritas? Wo auch immer sich die Wahrheit befindet, der Schwindel liegt, wie der Satiriker Werner Schneyder bemerkte, stets in der Etikette. Man denke an Friedensreich Hundertwasser, der 1967 der Münchener Galerie Hartmann seine berühmte “Nacktrede” hielt, in der es heißt:

“In dieser Welt ist es nämlich so: Wer sich eine Krone aufsetzt, wird ein König, wer sich zwei Kronen aufsetzt, wird ein Kaiser. Warum tun sich die Leute keine Krone aufsetzen? Weil sie zu feige sind, um Könige zu sein. […] Man muss die Leute zur neuen Revolution anstacheln. Wenn sie zu blöd sind, selber darauf zu kommen, muss man es ihnen sagen, dass sie Trottel sind.”[5]


[1] Ugo Volli, Pornographie und Pornokitsch, in Gillo Dorfles (Hg.), Der Kitsch, Gütersloh, Prisma, 1977 [1968], S. 223-250, hier S. 239-240.

[2] Maxi Grotkopp, Work Love Not War. Performance Paare in den 1960er und 1970er Jahren, in Magdalena Beljan, Maxi Grotkopp, Jenny Schrödl (Hg.), Kunst-Paare. Historische, ästhetische und politische Dimensionen, Neofelis Verlag, Berlin 2017, S. 55-72. Hier S. 59.

[3] Ausschnitt aus „Tapp, tapp, ein Film / „Austria Filmmakers Cooperative“ in München beliebt und zu Gast“, in: Peter Hajek: von Film zu Film, Kurier 12.11.68, 1. Ausgabe https://www.valieexport.at/jart/prj3/valie_export_web/main.jart?rel=de&reserve-mode=active&content-id=1526555820281&tt_news_id=1956.

[4] Claudia Preschl (Hg.), Frauen und Film und Video und Österreich, filmladen, Wien, 1986, S. 12.

[5] Friedensreich Hundertwasser, „Nacktrede für das Anrecht auf eine dritte Haut“, https://hundertwasser.com/texte/speech_in_the_nude_for_the_right_to_a_third_skin


Von 18. Oktober 2023 bis 9. September 2024 zeigt das Theatermuseum die Ausstellung Showbiz Made in Vienna. Die Marischkas. Die Filmbezogene Sammlung des Filmmuseums stellte dafür 18 Fotoalben zur Verfügung, in denen die Arbeit der Brüder Hubert und Ernst Marischka dokumentiert wurde. Sie umfassen einen Zeitraum von über vier Jahrzehnten, widmen sich Produktionen der Ton-, aber auch der Stummfilmzeit, wobei neben seltenen Werkaufnahmen zu der Sissi-Trilogie von Ernst Marischka auch die Stummfilmalben mit einzigartigen Fotomotiven aus den Jahren 1913-1923 hervorstechen. Die Alben stammen aus dem Nachlass von Ernst Marischka und wurden der Filmbezogenen Sammlung 1978 nach Lilly Marischkas Tod übergeben. Im Katalog zur Ausstellung sind Paolo Caneppele und Günter Krenn mit Beiträgen zum Stummfilmschaffen der Marischkas, sowie zu Leben und Schaffen von Georg und Franz Marischka vertreten.