Peter Lorre: Augen schauen Dich an – D wie Darsteller

Elisabeth Streit

Crime and Punishment, USA 1935, Josef von Sternberg

Warum sehen wir Menschen auf der Leinwand wie auf der Bühne so gerne dabei zu, wenn sie Gutes oder Böses tun? Ich denke, es ist ein kleinwenig dem geschuldet, dass wir uns einerseits in eine andere Realität begeben können und andererseits verkörpern Schauspieler*innen die Summe menschlicher Emotionen, die wir uns zwar vorstellen, aber oft nicht auszuleben wagen. Peter Lorres Darstellung des Raskolnikow in Crime and Punishment ist der Beweis dafür, wie er es geschafft hat in expressionistischer Licht – und reduzierter Setgestaltung so etwas wie Mit-Gefühl in uns zu evozieren. Für ihn war es essentiell die Figur eines zum Größenwahn neigenden Charakters durch komische Elemente im Spiel menschlicher zu gestalten. Lorre wusste auch ganz genau, warum er gerade diesen Beruf gewählt hatte.

“Entweder man schneidet Grimassen, oder man ist dazu geboren, oder man mag es nicht, und das ist alles, was es zu tun gibt.”

So erarbeitete er sich seine Schauspielmethode, die nicht allein auf den Einfluss von Jacob Levy Moreno zurückzuführen ist. Er verstand es auch, durch entsprechende Stimulation seine inneren Dämonen zu zeigen. Bei seinen ersten Auftritten in den USA wirkte Lorre bisweilen noch steif und manieriert, aber je länger sein Leben in Europa zurücklag und er sich in seiner neuen Heimat wohl zu fühlen begann, desto lockerer und spontaner wurden Haltung und Spiel. Die Eigenschaft, sich in der Darstellung eines Charakters von den eigenen Emotionen zu distanzieren, hatte er bei Brecht gelernt und verfeinert und so setzte er den gewünschten Effekt spielerisch für sich – wann er und wo er wollte – ein. Als er von Alfred Hitchcock 1934 zum Vorsprechen für The Man Who Knew Too Much eingeladen wurde, verließ er sich in dieser speziellen Situation allein auf seine Intuition. Lorre hörte aufmerksam zu, während Hitchcock seine Pläne auslotete und erste Eindrücke sammelte.

“Alles, was ich auf Englisch kannte, war Ja und Nein”, erinnerte er sich später, “und ich konnte nicht Nein sagen, weil ich es hätte erklären müssen, also musste ich zu allem Ja sagen, was nicht ganz zu mir passt. Sidney machte mich darauf aufmerksam, dass Hitchy gerne Geschichten erzählt, also beobachtete ich ihn wie ein Falke, und immer, wenn ich dachte, das Ende einer Geschichte käme, und das war der Punkt, brüllte ich vor Lachen, und irgendwie bekam er den Eindruck, dass ich Englisch sprach, und ich bekam die Rolle.”

Dennoch wurde Peter Lorre, obwohl vielseitig begabt, im rigiden Studiosystem Hollywoods aufgrund seiner Statur und seiner markaten Augen Zeit seines Lebens als Bösewicht oder Verrückter besetzt.

“Mit der gedrungenen Gestalt, seinen hervortretenden Augen und dem kalten Blick, der etwas Lauerndes vermittelte, übte er die Faszination des Bösen auf das Publikum aus. Seine psychotischen Charaktere wurden, dämonisch gewendet, zu leibhaftigen Horrorfiguren. In seiner späteren Karriere ließ er sich in Rollen als Spion, Schieber oder politischer Delinquent drängen, in denen er zwar bestach, die aber seine subtilen Qualitäten nicht nutzten. Mit dem japanischen Detektiv Mr. Moto, den er in einer ganzen Serie spielte, konnte er auch sein komisches Talent zur Geltung bringen.”

Literatur

Omasta/Mayr/Streit, Peter Lorre. Ein Fremder im Paradies, Wien: Zsolnay 2004.

Youngkin, The Lost One. A Life of Peter Lorre, Lexington: University Press of Kentucky 2005.

Heinzlmeier/Schulz, Lexikon der deutschen Film- und TV-Stars, Berlin: Lexikon Imprint Verlag 2000.