Katharina Müllers Buch Haneke. Keine Biografie (2014) ist die bislang umfassendste Einzelstudie zu Werk und Erfolg des Filmemachers. Sie verwehrt sich den üblichen Interpretationen und nähert sich in minutiöser Recherchearbeit und über eine Vielzahl von Interviews der oftmals vorschnell etikettierten Erfolgsgeschichte Hanekes an: Als Chronik einer abenteuerlichen Reise von Wien über Paris nach Cannes und bis nach Hollywood – getragen von Gedanken des Regisseurs und seiner Mitstreiter*innen so sehr wie von den unzähligen Stimmen, die mit seinem Werk einhergehen.
Anlässlich Michael Hanekes 80. Geburtstages am 23. März und der im Filmmuseum veranstalteten Retrospektive, freuen wir uns, ein längeres Gespräch aus ihrem Buch hier anbieten zu können.
An der Sackgasse des Essentialismus vorbei:
Auszug aus einem Gespräch mit Michael Haneke
KM: Herr Haneke, weil Sie mir jetzt bereits zum dritten Mal diesen Ausdruck der Bestürzung entgegenbringen – schon die letzten beiden Male als Sie mich gefragt haben, was ich da mache und ich Ihnen gesagt habe, eine Arbeit zu ‚Haneke‘, haben Sie gesagt: ‚Oje …‘. Entsprechend möchte ich Sie bittend fragen, ob Sie mir diese Artikulation vielleicht ein bisserl präzisieren könnten …
MH (lacht): Na ich hab gemeint Oje für Sie, weil das ist ja ein Haufen Arbeit und da muss man sich dauernd mit den Filmen auseinandersetzen. Ich hatte unlängst – das ist, glaube ich, morgen im Fernsehen, in ORF3 – ein Gespräch mit dem Herrn Kerbler, das ist ein ORF-Journalist, der macht immer so Interviewsendungen. Und das fand im Parlament statt. Und der hat auch gesagt – er wiederum wurde nämlich vom ORF interviewt, wie er sich vorbereitet hat und ob er sich alle meine Filme angeschaut hat: ‚Ja, innerhalb der letzten drei Wochen.‘ Hab ich auch gesagt: ‚Sie Armer!‘ (lacht), weil er das so gebündelt muss (lacht). Also, egal welcher Filmemacher, es ist ja so: Wenn man sich das Werk – wenn der viel gemacht hat – kompakt anschaut, dann ist es irgendwie immer eine Zumutung, weil da kriegt man so Scheuklappen und insofern: Darauf bezog sich das Oje … (lacht)
KM: Naja, die Filme waren ein Teil des ganzen Unternehmens und ich habe tatsächlich jeden ungefähr zehn Mal gesehen, im Ganzen. In Teilen dann freilich öfter.
MH: Alle Filme? Die Fernsehfilme auch?
KM: Selbstverständlich.
MH: Na gute Nacht. Ich schau mir ja meine Filme nicht an, wenn ich nicht muss. Aber nicht, weil ich sie nicht gut fände, sondern weil es für mich eine erledigte Sache ist, wenn ich einen Film einmal gemacht hab. Da interessiert mich mehr, was ich als nächstes mache als das, was ich gemacht hab.
KM: Ich werd meine Dissertation auch nicht lesen.
MH (lacht)
KM: Ich möchte Sie fragen: Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ‚Haneke‘ haben Sie mir in Los Angeles gesagt: ‚A masturbatorischer Schaß!‘
MH: In Bezug worauf?
KM: Auf die letzte wissenschaftliche Bezugnahme, die Sie zu Ihrem Werk gelesen haben. Weshalb ich Sie fragen wollte …
MH (lacht): Hab ich das so deutlich gesagt?
KM: Ja. Und da ist womöglich auch was dran. Daher wollte ich Sie fragen, worin für Sie die Merkmale des intellektuell Masturbatorischen liegen …?
MH: Naja also das Problem ist ja immer, wie bei Kritiken ja auch – das ist ja eine Banalität wenn man das sagt –, aber ich zitiere ja immer gern die Susan Sontag und ihren Essay Against Interpretation, wo sie sagt, ‚die Interpretation ist die Rache der Intellektuellen an der Kunst‘ (lacht).
KM: Georg Seeßlen hat Ihnen diese Rache zuletzt als ‚Liebeserklärung‘ zurückgeworfen.
MH: Jaja … Im Allgemeinen – man kann das aber auch nicht generalisieren: Den Großteil der filmwissenschaftlichen Sachen, die ich über mich gelesen habe, hab ich nach kürzester Zeit aufgehört zu lesen, weil ich nicht weiß, wovon die reden. Jedenfalls nicht von meinen Filmen.
KM: Ja. Da beginnt die Qual und nicht bei Ihren Filmen.
MH (lacht): Ja, es interessiert mich dann auch nicht, wenn ich da etwas lese, das ich nicht verstehe. Weil wenn ich’s überhaupt nicht mit dem zusammenbringe, was ich da fabriziert habe, dann langweilt mich das. Und dann frag ich mich: Warum tun die Leute das? Und dadurch komm ich auf das Masturbatorische. Weil’s ja immer … es ist ja immer schwierig: Also Kritiken, sehe ich noch ein, die macht man, um Filmpolitik zu machen, letztendlich. Also entweder macht man’s, weil man Macht haben will oder man ist Teil einer Gruppe, die eine bestimmte Interessensform im Kino durchsetzen will. Das gibt es ja auf der ganzen Welt, das gibt es ja nicht nur im Kino. Das gibt’s auch in der Literaturkritik. Da kämpfen Gruppen gegen Gruppen und da werden bestimmte Konzepte verteidigt usw. – Wo ich mich immer frage: Wer hat daran ein Interesse? – Ich nicht. (lacht)
Und die meisten, die es machen … das hat immer so etwas von … also masturbatorisch ist vielleicht ein bisserl hart gesagt, aber es hat für mich auch immer so etwas Sinnloses. Wozu? Wer liest das auch?, frag ich mich immer. Wer liest filmwissenschaftliche Werke? – Filmwissenschaftler. Aber sonst kein Mensch. Weil das auch niemand … Weil in einer Wissenschaft … Es ist ja Literaturwissenschaft auch ein eigenes Kapitel. Wissenschaft und Kunst ist ein eigenes Kapitel. Jede Naturwissenschaft hat einen Erkenntniswert: Ich mach irgendwelche Forschungsarbeiten und dann bin ich klüger nachher. Aber in den Literaturwissenschaften, da schreibt einer, also einer interpretiert das so und der nächste interpretiert das dann so und weist nach, dass der das dann falsch interpretiert hat und so weiter. Und das ist halt einfach eine Wichserei.
KM: Ja, eine Hirnwichserei, ganz genau.
MH (lacht)
KM (zur Dissertation): Dann darf ich Ihnen jetzt sagen, was das hier ist.
MH (lacht): Ja.
KM: Und zwar ist das eine Chronik. Keine hermeneutische Arbeit. Das heißt, ich habe weder Werkinterpretationen vorgenommen, noch hab ich Ihnen irgendwelche Intentionen angedichtet, die ich natürlich nicht kennen kann. Ich kann vermuten und ahnen, aber das hat alles nichts mit meiner Arbeit zu tun. Was ich gemacht habe, ist eine Art Versammlung. Diese Arbeit gehorcht einer kompositionistischen Logik und hatte eine Grundregel als Prämisse: Es ging darum, zu beschreiben und nicht zu erklären.
MH: Ja was jetzt? Die Filme phänomenologisch zu beschreiben, oder …?
KM: Nein, nein … Eine unter dem weitestgehenden Verzicht auf Bewertung realisierte Versammlung von Stimmen und Material zu ‚Haneke‘, was immer sich damit assoziieren lässt. Ich hab alles Mögliche durchforstet: Wissenschaft, Presse, Internetforen usw., bin herumgefahren, hab mit Leuten aus Kunst, Kultur und Politik geredet – Produzenten, Verleiher … Es ist eine Stimmenversammlung und mein Kommentar ergibt sich aus der Form, der Anordnung dieser Stimmen.
MH: Und die Summe dieser Stimmen ist eine Kakophonie?
KM: Ja, allerdings! Ich bin ausgegangen von der Beobachtung, dass künstlerisches Schaffen, vor allem Film, in den letzten zehn Jahren in seinem Kulturgutwerden vermehrt nationalisiert wurde. Mit dem Weißen Band hat das bekanntlich einen Kulminationspunkt erreicht, mit den Streitereien darüber, ob das nun ein österreichischer oder ein deutscher oder usw. Film ist. Sie kennen die Diskurse ja. Obwohl das freilich nicht mit den Produktionsverhältnissen übereinstimmt und von werkimmanent brauchen wir ja nicht zu reden. Jedenfalls: eine sehr vielschichtige Geschichte – Nationalismen, kanonische Fragen … Im Größeren ging es also um das Verhältnis von Kino und Nation. Pierre Henri Deleau hat 1992 in Cannes gesagt: ‚Je nationaler ein Film und je persönlicher, desto universeller wird er sein.‘ …
MH: Ja, da ist auch was dran.
KM: Ich sage auch nicht, dass da nichts dran wäre.
MH: Ja, das kann man ausführen: Je persönlicher – grundsätzlich, das muss jetzt gar nicht mit national zu tun haben, sondern – ich glaube grundsätzlich: Je persönlicher ein Film ist, desto allgemeiner ist er, desto leichter können der Herr X und die Frau Y damit irgendetwas anfangen. Sobald er nämlich nur irgendwelche Thesen vertritt, werden nur die Leute, die die gleichen Thesen vertreten … die anderen können sich aufregen, aber es wird nicht sehr viel bringen (lacht).
KM: Die Frage war dann auch: wie beschreibt man so etwas wie ‚nationales Kino‘ und wie schreibt man das als eine Erfolgsgeschichte zu ‚Haneke‘, ohne dass man sich dabei zum Trottel macht. Und ich hab dann eben ein alternatives Geschichtsmodell, wenn Sie so wollen, ersonnen und einen Antrag gestellt auf Förderung. Kurz vor Ihrer Palme für Das Weiße Band war das. Sehr verkürzt: Ich hab gesagt, der Haneke wird die Palme holen und dann wird das so und so laufen. Die anderen haben gesagt: nein, so wird das nicht laufen. Dann kam die Palme und ein neuer Antrag und dann mein Stipendium. Eine herrliche …
MH (lacht): Ja, so ist der Kulturbetrieb.
KM: Der Wissenschaftsbetrieb.
MH: Naja, das ist dasselbe.
KM: Die Frage war, formal: Wie beschreibt man möglichst unsentimental Kino, Nation und den Autor/den auteur als Komplexe, von denen anzunehmen ist …
MH: Und das Fazit ist, dass ich kein nationaler Autor bin oder das ich schon ein nationaler Autor bin?
KM: Das Fazit ist ein anderes, aber das verrate ich Ihnen nicht. Das versuch ich Ihnen zu entlocken.
MH (lacht)
KM: … also als Komplexe, von denen anzunehmen ist, dass es ‚Produkte‘ einer historischen Moderne sind, wobei sich inzwischen aber die Paradigmen verschoben haben. Das klingt jetzt zwar sehr hirnwichserisch, aber das ist eben der wissenschaftliche Duktus. Ein Erkenntnisinteresse, weil Sie schon davon gesprochen haben, gab es natürlich auch. Es lag in der Frage nach dem Potential von Kunst und Film als sozialem Handlungsfeld innerhalb der veränderten Formen von Gesellschaft, mit denen wir es heute im 21. Jahrhundert zu tun haben. Und nun bin ich in der Situation, dass ich mich drei Jahre lang mit ‚Haneke‘ beschäftigt habe …
MH: (erneut bestürzt, lacht) Um Gottes Willen … und noch keine Albträume haben?
KM: Inzwischen nicht mehr. … und jedenfalls eine Vielzahl von Fragen und Metafragen, die Ihnen bereits gestellt worden sind, schon kenne. Die Mehrzahl davon sind Fragen, die sich mir nicht stellen. Also dieses ‚Warum haben Sie das so oder so gemacht?‘. Diese Warum-Fragen, das interessiert mich nicht. Und nachdem Sie ja auch vermehrt dazu genötigt wurden, einzuräumen, dass Sie sich nicht gern selbst interpretieren, was sehr verständlich ist, wäre die einzig mir sinnvoll erscheinende Gesprächsvariante, wenn Sie damit einverstanden sind, dass ich Sie mit ein paar wenigen Stichworten oder Konzepten konfrontiere, die diese Arbeit sehr prominent durchzogen haben. Was nicht heißt, dass ich von diesen Dingen spreche. Und wir reden jetzt freilich nicht über ‚die Kälte bei Haneke‘ …
MH (deutet auf mein iPhone um sich des Funktionierens der Aufnahme zu versichern): Das ist so schwarz … das ist richtig so … das soll so sein …?
KM: Ja, das rennt noch.
MH: (blickt auf das sicherheitshalber in Betrieb genommene zweite Aufnahmegerät): Das leuchtet rot, das muss stimmen … (lacht) … Ok.
KM: Kontextuell geht es um den Hintergrund des Eintritts in eine Ära von Film und Kunst NACH dem Kino.
MH: Was heißt ‚nach dem Kino‘?
KM: Das heißt, dass sich Kino als Öffentlichkeitspraxis neu verteilt, durch die Vermehrung der technischen Dispositive. Ich komm Ihnen gleich sehr konkret. – Das ist die Schande: wenn man sich mit Hirnwichserei beschäftigt, dann neigt man dazu, dieser Tendenz bisweilen selbst zu verfallen. Also: Der erste Punkt betrifft die Relation von Mensch und Technik. Unsere technikbedingt verkomplizierte Zusammenkunft* war ja bezeichnend … Die Interaktion von menschlichen und nichtmenschlichen Wesen bzw. Dingen … Was fällt Ihnen dazu ein?
MH: Ah nein, also solche Fragen beantworte ich ungern.
KM: Zu offen?
MH: Nein, weil das sind so Meinungen; und Meinungen teile ich nicht gerne mit. Das kann ich am Biertisch machen, aber nicht öffentlich. Das ist so wie … Heute hat mich der Frido Hütter von der Kleinen Zeitung gefragt: ‚Was soll in Österreich in der Kultur verändert werden und was soll bleiben?‘ Sag ich: ‚Dazu hab ich keine öffentliche Meinung.‘ (lacht) Ich gebe überhaupt zu öffentlichen Themata keine Stelltung ab, grundsätzlich, weil ich … Wer bin ich, dass ich … Das, was ich zu sagen hab, für die Öffentlichkeit, sag ich in meinen Filmen und mehr hab ich nicht zu sagen. (lacht)
KM: Gut, dann stelle ich die Frage anders: Weil Ihr Werk auf Basis Ihrer Stellungnahme doch in den diversen Arbeiten als die ‚filmische‘ Variante der Kulturindustriethese Adornos umschrieben wurde – Sie haben sich zur Kulturindustrie doch immer wieder geäußert –, stellt sich die Frage, ob diese These – hinsichtlich der Relation von Mensch und Technik, oder sagen wir Mensch und Medien/Massenmedien …
Anders gewendet: Man könnte ideengeschichtlich sehr verkürzt in drei Phasen teilen: Erstens: Das Modell Adorno, wo auf der einen Seite ein verblendetes Subjekt steht und auf der anderen Seite die Massenmedien. Als Dualität. Zweitens: Die 70er- und 80er-Jahre-Auseinandersetzung mit Medien, wo sich die Gegenüberstellung hält: Wieder auf der einen Seite das Subjekt und auf der anderen Seite die bösen Massenmedien, die uns nun nicht mehr verblenden, weil der Mensch ja jetzt die Möglichkeit hat, Lesarten zu entwickeln, zu deuten, Dinge hermeneutisch auszulegen. Roland Barthes proklamierte ja den Tod des Autors … Also der Mensch ist doch fähig und mündig und kann sich, sehr verkürzt gesagt, doch zur Wehr setzen. Und nun kommt die dritte Möglichkeit der Betrachtung, nämlich, dass man – wäre zumindest infrage zu stellen – drittens: Mensch und Ding bzw. Subjekt und Objekt nicht getrennt betrachtet, sondern als Hybrid. Das war der Versuch der Arbeit, unter der Annahme, dass Mensch und Technik fast nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden können.
MH: Mir wird das zu kompliziert, was Sie da sagen. Ich finde schon, wenn Sie auf der einen Seite den Adorno und auf der anderen Seite den Roland Barthes, und da ist das Individuum und dort ist das bedrohliche Massenmedium und bei Barthes hat sich das Individuum emanzipiert, das ist ja ein Blödsinn, weil der Herr Adorno hat sich genauso emanzipiert. Es ist immer eine Frage der Leute. Denen, die sich emanzipieren können und denen, die es nicht können. Und natürlich konnten sich die Intellektuellen auch schon vor Herrn Barthes als emanzipiert betrachten. Das ist ja kein Widerspruch, das ist ja nur von einem anderen Gesichtspunkt aus beschrieben. Aber das ändert ja kein Jod an dem, was der Adorno gesagt hat. Es ist nur ein anderer Gesichtspunkt.
KM: Ganz recht. Ich spreche auch nicht von der Tatsache, dass sich die Situation verändert hätte, sondern von der Betrachtungsweise, die sich verändert hat.
MH: Na ich sag nur, weil es wird ja Adorno in der modernen Kritik immer so quasi als ‚überholt‘ betrachtet. Ich finde das überhaupt nicht überholt, ich finde diesen Pessimismus wesentlich konkreter als diese postmoderne – meiner Meinung nach – Verharmlosung der Situation.
KM: Worin liegt die Verharmlosung?
MH: Eben, wie Sie es zunächst beschrieben haben, darin, dass man sagt: Also der Mensch ist ja sozusagen ‚auf Augenhöhe‘ mit der Technik. – Wir sind überhaupt nicht auf Augenhöhe mit irgendwas.
KM: Nein, wir sind in Interaktion.
MH: Ja, aber wir sind nur reagierend. Weil … natürlich benutzen wir das. Wenn ich ein E-Mail schreibe, benutze ich das Medium. Aber wir sind durch die Tatsache, dass wir … Das Internet zum Beispiel: Also es gibt ein paar – es sind ja Banalitäten – große Erfindungen, die die Menschheit verändert haben. Das Rad, die Elektrizität, die Dampfmaschine (lacht) – gibt’s ja alles Mögliche – und das Fernsehen war sicher ein Punkt, der die Welt enorm verändert hat, so wie der Buchdruck. Und jetzt verändert das Internet die Welt noch einmal phänomenal. Und es verändert sich immer krasser und immer schneller. Und das Gleichhalten des Individuums mit dem wird immer schwieriger. Wir sind ja völlig überfordert! Wir wissen … wir bilden uns alle heute ein, wir hätten ein Bild von der Welt durch die Medien. Und wir haben aber überhaupt kein Bild von der Welt. Ich gebe immer dieses Beispiel – hab ich ja schon hundertmal zitiert – vom Bauern im Bergdorf … also ich brauch’s jetzt nicht noch einmal zu sagen, weil Sie kennen es wahrscheinlich eh, oder?
KM: Der Bauer in Afghanistan?
MH: Ja, oder in Afghanistan, ist ja völlig Blunzen.
KM: Ich frage nur, ob’s derselbe ist …
MH: Er kann auch in Österreich … in Afghanistan hat er vielleicht noch kein Internet, aber (lacht) sagen wir in irgendeinem hinterwäldlerischen Dorf in den Alpen. Da war der, vor 50 Jahren, der seine Berge kennt und rundherum und etwas anderes hat er gar nicht geglaubt zu kennen. Und heute sitzt er vor der Glotze und hat den Eindruck, er weiß was. Er weiß aber genauso wenig wie vorher, weil man immer nur das weiß, was man selber erfahren hat. Und das ist die große Gefahr. Weil sich die Leute für informiert halten und es überhaupt nicht sind. Wenn ich mir anschaue: Was weiß ich von Afghanistan? – Das, was sie mir in dem Medium zeigen, was irgendwelche Reporter gefilmt haben. Die müssen nicht einmal böswillig sein und mich manipulieren wollen, absichtlich, sondern das findet automatisch statt: Ich kriege einen Teil der Welt, einen winzigen Ausschnitt als die Essenz eines Landes zum Beispiel vorgesetzt und natürlich muss ich es glauben, weil ich habe ja gar nicht die Möglichkeit, das zu verifizieren. Weil die Information, die von überall kommt, so dicht ist, dass ich weder die Zeit noch sonst etwas hab. Das ist die Situation. Wir sind total in Abhängigkeit. Und wenn man das jetzt auf ästhetische Formen hochrechnet, muss ich halt sagen, dass – das ist das Problem – eine mediale Erziehung überhaupt nicht stattfindet. Die findet vielleicht bei ein paar Filmwissenschaftlern unter sich statt (lacht), aber sonst schon nirgends. Sonst schon nirgends! Weil wenn Sie sich heute anschauen – ich sehe es ja an der Uni, wenn wir unsere Aufnahmsprüfungsleute haben, die sich da bewerben, wie deren ästhetische Schulung ist. Und die ist natürlich Fernsehen und Mainstream. Da haben sie ihre Bildvorstellungen her. Und die machen’s halt nach. Weil was soll man anderes machen als nachmachen? Man macht zuerst immer einmal nach. Aber man wird heute in einer Form zugebuttert, in einer Simplifizierungsästhetik (ich meine jetzt nur ästhetische Bildfragen), dass es eine Art Verflachung der Bildmöglichkeiten gibt. Und weil es so viel gibt, ist es in den Schulen gar nicht zu leisten! Die Medienerziehung, die darin besteht, dass irgendein Deutschlehrer mit denen dann einmal in der Woche sich einen Film anschaut und dann darüber redet, das kann’s ja nicht sein.
KM: Die Situation ist mir bekannt.
MH: Aber so ist es ja. Wie soll man das auch … das ist gar nicht zu leisten! Weil die Entwicklungen so gigantisch sind, dass alle völlig hilflos wie kleine Kinder hinterher tappeln und glauben und sich einreden, damit sie sich nicht blöd vorkommen, dass sie informiert sind. Aber sie sind komplett uninformiert! Ich bin komplett uninformiert von der Welt, ich weiß nicht, was passiert auf der Welt.
KM: Und Sie würden sagen, Sie reagieren eher als Sie agieren, mit den technischen Dispositiven?
MH: Ich kann ja gar nicht anders. Natürlich. Ich kann ja nur reagieren. Es wird mir irgendetwas angeboten und ich muss dazu eine Stellung beziehen, ob ich will oder nicht. Weil wenn ich hier leben will, in einem beruflichen Umfeld, bin ich ja gezwungen, diese ganzen Dinger zu haben. Deswegen bin ich heute runtergefahren von da oben (am Land; KM), weil ich gesagt hab: Wenn ich kein Internet und kein Handy hab, das kann ja beruflich schädlich sein. Ist es ja! Vor 20 Jahren hat keiner ein Handy gehabt, die Welt hat auch funktioniert. Ich will nicht zurück, dass man kein Handy hat – dass Sie mich nicht missverstehen –, ich glaube nur, dass uns die technische Entwicklung in einer Weise überrollt, der wir alle geistig nicht gewachsen sind.
KM: Das meinte ich auch mit der Hybridfunktion. Ganz knapp gesagt nämlich …
MH: Aber hybrid würde ja bedeuten, dass beides zusammen funktioniert. Aber es funktioniert ja nicht. Es funktioniert ja nur auf einer ganz primitiven Ebene, nämlich so, dass ich weiß, ich kann heute schneller telefonieren und meine E-Mails verschicken und muss nicht die Briefe auf die Post bringen. Früher hat man halt getrommelt, die Botschaft, jetzt gibt’s halt schnellere Wege und man muss die mitmachen, weil alle anderen sie ja auch mitmachen. Aber das heißt nicht, dass das ein hybrides, ein wirklich hybrides System ist, also dass das eine das andere befruchtet. Das ist nicht der Fall.
KM: So weit geht’s in meiner Geschichte gar nicht. Da geht’s gar nicht um Befruchtung sondern um die Grundannahme, dass, ganz knapp gesagt, der Haneke mit seinem funktionierenden Handy einer anderen Funktionslogik gehorcht als der Haneke ohne Handy.
MH: Klar, der Haneke mit dem Auto hat eine andere Funktionslogik als ohne Auto. Weil wenn ich mit der Kutsch’n fahr, brauch ich drei Wochen bis ich in Paris bin. Heute steig ich in den Flieger und bin in drei Stunden dort. Das ist …
KM: … banal, ja. Und genau darum geht es: Dass man sagt, man lässt die Hermeneutik beiseite und geht zurück zu den Dingen und schaut sich einfach an, was da ist und zusammenkommt. Als Chronik des Zufalls, wenn Sie so wollen. Im Sinne des Versuchs, das gemeine filmwissenschaftliche Verständnis von Film einmal komplett zu erschüttern, indem man sagt: Film ist auch eine Frage von: Kommt das Bandel rechtzeitig in Cannes an oder geht’s auf dem Postweg verloren …
MH: Sicher, ja.
KM: Das weitet zwar den Fokus unermesslich, aber man springt runter von der Warum-Frage oder von der Behauptung, der Haneke macht dies oder das so, weil er z.B. seine Kindheit aufarbeitet. – Das ist vollkommen irrelevant für meinen Zugang, daher die Frage. Das heißt, mit einem Begriff wie z.B. – medienwissenschaftlich gerade aktuell – der sogenannten ‚Prosumentenkultur‘ können Sie nichts anfangen?
MH: Ich weiß gar nicht, was das heißt.
KM: Erhard Schüttpelz, ein Medientheoretiker, hat das aufgestellt, als Mischung von Produzent und Konsument. Ich weiß nicht, ob das optimistisch ist, ich weiß auch gar nicht, was optimistisch ist …
MH: Also eine Mischung von Produzenten und Konsumenten?
KM: Ja. Es meint, der kleine Hirsch vorm Internet ist vielleicht doch selbstmächtig, weil er ja potentiell und eventuell das Bankensystem XY aushebeln könnte.
MH: Ja, wer’s glaubt. Ich glaub’s nicht. (lacht)
KM: Ich auch nicht.
MH: Was rauskommt, immer bei dieser Art von Annahme, also: es könnte im Sinne von Twitter usw. … was rauskommt ist immer der kleinste gemeinsame Nenner. So wie in Jurys – kommt auch immer der kleinste gemeinsame Nenner heraus. Und das ist immer das Schlimmste. (lacht)
KM: Allerdings das Schlimmste, man ist dann wieder Teil vom … jaja …
MH (lacht)
(…)
KM: Ein weiterer dominanter Diskurs bezieht sich auf das, was in sentimentalen Kreisen mitunter als ‚Kinosterben‘ bezeichnet wird …
MH: Das kann ich gar nicht beurteilen, da müssen Sie einen Statistiker fragen, was das Kinosterben anlangt. Wenn man Kino als Ort meint, wo die Leute hingehen, zahlen und dann dort sitzen und sich das gemeinsam anschauen: Da gibt’s ein Sterben. Das ist ein Faktum. Welche Ausmaße das hat … bin ich nicht der Mann, um das beurteilen zu können. Der Film stirbt sicher nicht. Die Frage ist mehr eine Frage der Rezeptionsformen. Also Kino als Ort oder Kino wird natürlich abgelöst – ist ja schon abgelöst. Heute unlängst war ich bei Apple weil ich mir dort etwas reparieren hab lassen und da war der neueste Super-Apple-Computer. Und ich hab gesagt: Wo ist denn da der Schlitz für die DVDs? Sagt der: Das gibt’s nimmer, das haben wir nimmer, das verwendet ja keiner mehr. Das wird nur noch heruntergeladen im Internet …
KM: … oder via iCloud …
MH: Jaja, genau. Das heißt, es geht natürlich dorthin, zu dem, was wir in Fahrenheit gesehen haben … Die Wände … Ich hab ja auch meine … ich hab hier (deutet hin) eine Projektionswand, oben am Land hab ich eine Projektionswand. Das ist klar – das wird immer mehr, weil das wird immer billiger, und es wird sich immer mehr … Wobei: Bestimmte Dinge natürlich, das Blockbuster-Kino, die wollen ja das Gemeinschaftserlebnis – da geht’s ja drum, dass man gemeinsam aufjault und so. Das wird auch nicht sterben, aber es wird sich eben beschränken auf diese Sachen. Aber das normale Kino, also Autorenfilme und so, werden hauptsächlich zu Haus geschaut. Aber da müssen Sie einen Statistiker fragen, der kann Ihnen das besser …
KM: Das hab ich selbstverständlich schon getan.
MH (lacht): Na weil da bin ich nicht informiert genug.
KM: Es geht ja nun gar nicht um die Statistik, sondern mehr darum, was Sie dazu denken. Weil Sie gerade sagen …
MH: Also ich finde, weil das so sentimental gehandhabt wird: Ich bin überhaupt nicht … Also ich bin auch keiner, der jammert, dass wir jetzt nicht mehr auf Film drehen sondern auf Video. Ist mir völlig wurscht. Ich will eine Geschichte erzählen. Wie ich sie möglichst optimal erzähle. Da ist mir wurscht ob der Apparat so ausschaut oder so ausschaut. Wenn’s so ausschaut, wie’s ausschauen soll, ist es eh … Das wird sich auch ändern: Schauen Sie sich heute Filme an, die 40 Jahre alt sind, die haben … jeder Film hat einen Zeitstempel. Durch die technischen Gegebenheiten natürlich. Ich sehe genau, da gab es dieses Filmmaterial, dann gab’s dieses Filmmaterial und diese Kamera und jene Kamera. Bestimmte Filme seh ich eine Minute und kann sagen: der ist aus den 50er Jahren oder der ist aus den 60er Jahren. Also das ist normal. Ist ja in der Kunstgeschichte genauso. Im Mittelalter, Übergang zur Renaissance, die Erfindung des Bildes mit der Zentralperspektive – das sind alles Dinge, die sich halt entwickeln. Ist ja nichts Schlechtes. Das ist nichts Schlechtes. (lacht)
KM: Ich sage das auch nicht wertend.
MH: Nein, aber Sie sind davon ausgegangen, dass manche Leute sentimental vom Kinosterben sprechen.
KM: Genau. Ich würde es Neuverteilung nennen.
MH: Das ist einfach anders. Was wirklich einer der wenigen positiven Aspekte dieser rapiden technischen Entwicklung ist, ist natürlich die Quasi-Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Weil du kannst heute mit deinem Handy und deinem Home-Computer einen Film machen, das heißt: jeder kann den machen. Es muss nicht irgendjemand auf die Filmakademie gehen, um einen Film zu machen, sondern wenn er Fantasie und Engagement hat, kann er einen Film machen. Das heißt, das Potential, das da entstehen kann, ist natürlich ein großer positiver Effekt.
KM: Sicher, wenn er auf YouTube 400.000 Mal geliked wird, hat er vielleicht sogar mehr Chancen.
MH: Ja und es gibt einfach viel mehr Leute, die dann was ausprobieren dürfen, was ja andere nicht dürfen. Weil wenn – gut ich war auch auf keiner Filmschule, aber heute, normalerweise – wenn du auf eine Filmschule gehst, dann müssen deine Eltern ein Geld haben, weil die müssen dir das Studium zahlen und und und. Das ist alles nicht mehr notwendig. Wie ich angefangen hab, mich für Film zu interessieren, da musst ich mir, um irgendwie dahinter zu kommen, wie man was schneidet, musst ich mir das 20 Mal anschauen und dann bin ich immer noch nicht … Heute schau ich mir einzelbildmäßig jeden Schnitt an und kann das daheim lernen, ohne dass … – Wenn ich will. Und das ist ein großer Vorteil.
KM: Ich geh nochmal zurück zu dem, was Sie vorhin gesagt haben, nämlich: Das Autorenkino schaut man heut zu Haus …
MH: Ja, wird heute hauptsächlich, glaub ich, eher auf DVD und Dings geschaut als im Kino. Ist aber auch wieder nur eine Vermutung von mir, ich kann’s Ihnen gar nicht belegen. Aber was ich so weiß … auch was ich von mir selber weiß – ich geh ja nie ins Kino. Fast nie. Weil ich krieg eh alles von diesen ganzen Akademien zugeschickt und schau mir das lieber in Ruhe an, da hab ich keine Popcorn-fressenden, raschelnden, telefonierenden Leute um mich herum (lacht) …
KM: … die Sie alle auch noch fotografieren, die ganze Zeit …
MH (lacht): Aber ich bin ja auch nicht repräsentativ.
KM: Ich hab die Frage aufgegriffen wegen der im Zusammenhang sehr potenten Idee eines vermehrt georteten ‚Zusammenbruchs von Öffentlichkeit‘, in dem Sinne, dass durch das Sterben, durch das Schwinden und das Teilwerden einer größeren Verteilung …
MH: Einer größeren Verteilung wovon?
KM: Von Film auf die mobilen Endgeräte …
MH: Also es wird immer mehr verteilt …
KM: … ja, und diese Verteilung wurde bisweilen als Zusammenbruch von Öffentlichkeit apostrophiert.
MH: Ja, da ist sicher was dran. Ich mein, früher … was soll ich Ihnen sagen (lacht): Ich bin ja noch – deswegen handeln vielleicht auch einige Filme von mir von diesen Fragen – ohne Fernsehen aufgewachsen. Ich bin ja gerade noch diese Generation. Also als ich Schüler war, gab’s die ersten Fernseher. Aber noch nicht zu Hause, sondern in den Wirtshäusern. Da ist man halt hingegangen und hat sich irgendwas angeschaut. Aber normalerweise hab ich bis Ende meines Studiums eigentlich nie ferngeschaut. Also das gab’s gar nicht. Ich meine, zu Hause hatten wir dann einen Fernseher, aber ich hab kaum geschaut. Und das ist schon – man sieht die Dinge dann anders als wenn man damit aufgewachsen ist, von frühester Kindheit an. Weil man sich an alles gewöhnt. Jeder Mensch gewöhnt sich. Ein gutes Beispiel, das ich immer gebe: Wenn Sie’s schon kennen, weil Sie ja alles gelesen haben, dann bremsen Sie mich ein …
KM: Mach ich.
MH: Als ich nach längerem Auslandsaufenthalt nach Österreich zurückkam, vor etlichen Jahren, hab ich den Fernseher aufgedreht und da waren die Nachrichten. Und dann kamen die Schlagzeilen … Sie kennen die Geschichte?
KM: Das weiß ich noch nicht, es gibt mehrere Geschichten, wo Sie heimkommen …
MH: … kamen die Schlagzeilen der Nachrichten, also, was weiß ich: Erdbeben in Ding und dort … Und das war unterlegt mit Musik! Und ich hab geglaubt, mich tritt ein Pferd! Ich hab gesagt, das kann ja nicht wahr sein, da sind lauter Katastrophennachrichten und drunter geht’s flott dahin, die Musik. Ich war empört, ich hab mir gedacht, ich muss im Fernsehen anrufen, das muss ein Irrtum sein, das gibt’s ja nicht! Heute: hör ich das gar nimmer. Weil … Es ist ja grotesk! Also der Konsumcharakter dessen, was da an Elendsmeldungen kommt, ist ja durch dieses Beispiel eklatant. – Fällt einem aber nur auf, wenn’s neu ist. Wenn man damit aufgewachsen ist, fällt’s einem gar nimmer auf! Man ist schon komplettes Opfer davon, weil man gar nicht mehr die Möglichkeit hat, das zu objektivieren. Weil das hat man mit der Muttermilch eingesogen. Das ist das Problem. Und das ist ja auch … Ich kann meistens bei Filmkritiken ungefähr sagen, wie alt der Kritiker ist. Und das hat mit den Medien zu tun.
KM: Ich bin aus der Generation, die nicht primär mit Fernsehen sondern auch mit den Computerspielen aufgewachsen ist, wo’s darum ging, um zu überleben, irgendwelche drachenartigen Monster vermittels Totschlag zu beseitigen. Da haben diese Geschichten vom Fernsehen schon wieder ein bisschen was Skurriles. Gerade weil das Fernsehen gar nicht mehr so dominant war. Entsprechend hat es sehr wohl etwas unglaublich Groteskes, solche Bilder zu sehen. Viele aus meiner Generation sind schon mehr mit Computer und Co., d.h. letztlich schon mit weit mehr Möglichkeiten als dem Fernsehen aufgewachsen …
MH: Ja, aber ich meine, auch wenn Sie im Internet nachschauen, wenn Sie irgendwelche Informationen wollen, sind das ja auch meistens Fernsehsendungen, die Sie da letztendlich einholen … Also die sogenannten Nachrichten. Wenn Sie wissen wollen, was los ist und Sie gehen ins Internet, dann können Sie sich halt die unterschiedlichsten Sachen anschauen, aber das ist alles die Information aus fünf Tagen …
KM: Schauen Sie die Nachrichten überhaupt?
MH: Bisweilen. Das Einzige, was ich regelmäßig schau, ist ein Wetterbericht. Weil den kann ich verifizieren. Das ist das Einzige, was man verifizieren kann. Deswegen trau ich dem … (lacht) Das ist eine der wenigen Sachen, die sich verbessert haben, weil sich offenbar die meteorologischen Instrumentarien verbessert haben. Wenn ich denk, wie der Wetterbericht im Radio meiner Jugend war … war das ein russisches Roulette! (lacht) Heute kann man sich einigermaßen darauf verlassen. Auch nur einigermaßen.
KM: Wobei: Wenn Sie an die Icons denken, die Ihnen Ihr iPhone anbietet …
MH: Ja, schau ich eh immer nach …
KM: Ich auch. Aber das stimmt eigentlich nie, finde ich …
MH: Naja, da muss man eben mehrere haben, dann kommt der kleinste gemeinsame Nenner …
KM: Aber der ist ja das Schlimmste!
MH: Das weiß ich vom Film, weil beim Film muss man ja jeden Tag wissen, wie am nächsten Tag das Wetter sein wird. Und da wird die Flugwetterwarte angerufen, die internationale, die Dings – die werden alle angerufen und daraus rechnet man sich dann aus … Und es ist schon viel besser als es früher war. Also das können Sie mir glauben.
KM: Das glaub ich Ihnen gern.
MH (lacht): Aber das ist das Einzige, dem ich einigermaßen traue und deswegen schau ich mir das auch immer an, weil es mich interessiert, ob morgen die Sonne scheint oder nicht.
KM: Hat sich auch ästhetisch ganz bewegend verändert …
MH (lacht): Na, eigentlich nicht. Es schaut ein bisserl illustrierter aus und fetziger, aber es ist im Prinzip genauso simpel wie damals.
KM: Ich kann mit Ihnen nicht wirklich über die Nachrichten sprechen, die ich nicht anschaue, weil ich sie nicht ertrage und spring jetzt zu Alexander Horwath, der in einem Gespräch mit mir an einer Stelle sagt: ‚Ich glaube, dass der Autor zu Ende geht.‘ Er hat diesen Glauben sehr pragmatisch artikuliert, indem er sagt, dass sich die Zahl der Macher und Macherinnen von Autorenkino, also eines Autorenkinos, das dieses Namens seines Erachtens würdig ist, sukzessive reduziert. Derweil – französische Tradition – hat Gilles Jacob im Vorfeld von Cannes den Autor natürlich notgedrungen gegen die großen Veränderungen verteidigt und von der Immunität des Autors gesprochen. Wie steht’s mit Ihrer Immunität?
MH: Ich verstehe es nicht ganz, da müssen Sie mir genauer erzählen, was der Alex gesagt hat. Weil das kann ich so nicht glauben, dass er das so gesagt hat, weil das keinen Sinn gibt. Weil – egal wer: Wenn einer eine Geschichte erzählt, gibt’s einen Geschichtenerzähler. Natürlich kann das ein Team sein, wie im amerikanischen Kino – da gibt’s einen Autor, da gibt’s einen Dramaturgen und einen Dings und einen Regisseur und der Produzent redet auch noch mit –, aber trotzdem gibt’s einen Autor, der die Geschichte erfindet und der wird dann verbessert durch all die anderen. Drum kommen ja auch die Filme heraus, die man dann sieht. Die sind alle handwerklich ok und interessieren nicht sehr oder betreffen nicht sehr. Ich glaube, der Autor stirbt nicht, weil den Autor gibt’s immer. Es ist nur das Autorenkino … Also das, was man unter Autorenkino versteht, war immer ein Kino der Cinephilen. Es war nur so, dass das Autorenkino in den 50er und 60er Jahren mangels anderer Filme natürlich einen größeren Stellenwert hatte und auch von mehr Leuten gesehen wurde.
KM: Ja, genau davon spricht Alexander Horwath.
MH: Heute ist die amerikanische Unterhaltungsindustrie so dominant und macht natürlich über Verleih und Dings die Nischen für das andere Kino – was auch immer das sein mag – immer enger, immer kleiner, um die wirtschaftliche Macht einfach auszunützen. Natürlich wird das immer mehr zurückgedrängt. Und was noch viel schlimmer ist: Durch die mangelnde mediale Erziehung durch Qualität gibt’s natürlich immer weniger Leute, die in der Lage sind, komplexer gestaltete Dinge zu rezipieren. Das ist ja der Hund. Das hab ich zuerst gemeint mit der Medienerziehung. Für die meisten, die sich bei uns (an der Filmakademie) bewerben um Regisseure zu werden, fängt die Filmgeschichte bei Tarantino an. Und alles, was vorher ist, das wissen sie gar nicht. Das ist ein Faktum, das kann man ihnen gar nicht vorwerfen, sondern das ist ein Produkt dieses medialen Umfelds. Und das – in dem Sinn – schrumpft natürlich. Weil wenn’s kein Publikum für diese Filme gibt, werden natürlich auch weniger produziert und die müssen ja irgendein Geld einspielen, weil sonst geht’s ja nicht. Und ich meine, ohne das europäische Förderungssystem oder die Förderung gäbe es das sowieso nimmer. Das ist ein Faktum. Weil wenn Film ein reines Wirtschaftsprodukt ist, dann gibt’s zwar auch einen Autor, aber der will ja nicht seine Autorenschaft wahrnehmen, um irgendein künstlerisches Produkt zu machen, sondern der will ein Geschäft machen. Der sagt: Ich nehme bestimmte Ingredienzien, dieses und jenes Thema, mit der und der Ästhetik – und das wird dann von lauter Profis handwerklich erstklassig abgehandelt und funktioniert auch. Da weiß man schon vorher: Wie hoch ist der Werbeetat, wie hoch ist das … usw. – Kann man sich auch vertun, ist ja auch manchmal passiert, dass so ein 300-Millionen-Projekt dann plötzlich ein Flop ist, aber im Allgemeinen funktionieren die Dinger. Aber das heißt nicht, dass der Autor stirbt. Das ist so wie: Dadurch, dass heute weniger Leute lesen, sterben nicht die Schriftsteller. Es lesen halt weniger Leute. Obwohl, man wundert sich: Wenn ich mir die Buchmesse anschaue (lacht), frag ich mich, wer das alles lesen soll, was da jedes Jahr rauskommt.
KM: Weil Sie den Namen genannt haben: Der Tarantino. Ist einer, der …
MH: Ist ein Autorenfilmer.
KM: Ja. Und einer, der verdächtig häufig als Vergleichsmoment bzw. Vergleichsautor zu ‚Haneke’ herhalten muss …
MH: Na ich meine das ist ein Mann, der sein Handwerk hervorragend beherrscht. Der ist wirklich ein erstklassiger Autor. Also wenn ich mir Pulp Fiction anschaue: das ist ein Meisterwerk. Ein brillanter Autor und ein glänzender Regisseur, das ist überhaupt gar keine Frage. Mir ist nur das, was er erzählt unsympathisch. Also ich würde auf den nie in irgendeiner Form schulterklopfend herabschauen, ich find, das ist ein ganz toller Könner. Mir ist nur die Haltung zutiefst unangenehm. Ich mag die Filme einfach nicht. Wegen ihres Zynismus. Aber dazu muss man wahrscheinlich ein Amerikaner sein, um solche Filme zu machen. Der kennt alle Tricks, auch der europäischen Kultur – also weiß ich nicht, ob er sie kennt, aber er kann sie. Aber was er damit erzählen will, mag ich halt nicht, weil es genau das nicht ist, was ich meine, nämlich den Anderen als ein potentielles Du ernstnehmen. Das heißt nicht, dass man nicht komisch sein kann, also dass wir uns nicht missverstehen mit ernst meinen: Heißt jetzt nicht, man darf nicht lachen oder so … Aber das ist eine Form von … Der macht ganz gezielt sein Kino, von dem er genau weiß, dass der Verkaufswert das oberste Ziel ist. Nimmt sich immer ein anspruchsvolles Thema – vorher die Nazis, jetzt die Schwarzen –, macht’s unglaublich fetzig und kulinarisch die Gewalt so als Konsumprodukt par excellence, weil er genau weiß, dass das wunderbar funktioniert. Weil er’s wahrscheinlich auch selber geil findet – der ist ja aufgewachsen mit dem Video und dem Ganzen. Das kann man ihm auch gar nicht vorwerfen … Ich find auch zum Beispiel Oliver Stone furchtbar, der einen Film macht – also Natural Born Killers –, der angeblich gegen Gewaltkonsum ist und das mit einer Ästhetik, die genau das feiert. Das ist mir natürlich unsympathisch. Das ist aber auch … Ich glaube sogar, dass das ein ehrenhafter Mann ist. Ich kenne die ja alle beide nicht persönlich. Ich glaube, dass die das auch ernst meinen. Weil als Amerikaner denkt man wahrscheinlich anders. Die denken anders, die haben einen anderen Umgang mit der täglichen Gewalt als wir haben. Auch in den Medien. Es ist ja dort, man kann ja dort wirklich – man kann das jetzt auch wieder nicht generalisieren für ganz Amerika – aber wir wissen, wenn wir in New York sind: In bestimmte Gegenden gehen wir nicht und um eine bestimmte Uhrzeit steigen wir auch nicht in die U-Bahn und und und. Es ist ein anderer Umgang als hier und möglicherweise funktionieren die Filme dort auch anders für das Publikum als für uns hier. Ich glaube nur: Dass sie hier so Kultcharakter bekommen haben, das ist ein Zeichen für … also da sollte man sich einmal Fragen, wofür das ein Zeichen ist. Weil das Kino, das am besten geht, ist natürlich das Kino, das sich mit Gewalt im weitesten Sinne auseinandersetzt. Also der Action-Film, der Thriller, ist sicher mit Abstand der größte Ballon was Geldeinnahmen betrifft.
KM: Das wäre eine Frage – ganz weit weg von meinen Fragen. Tarantino in seiner Verwendung ist, glaube ich, einfach auch eine Kompensationsgeschichte. Dass die Leute nicht bei der Tür rausgehen und den nächsten erschlagen, sondern dass hier möglicherweise virtuell ein Ausgleich …
MH: Also das glaub ich ja alles nicht. Es heißt ja immer, man geht rein und man kann seine Aggressionen dort ablassen, weil dann braucht man sie woanders nicht usw. … Das halte ich ja für eine absolut heuchlerische Haltung. Ich glaube nicht, dass irgendjemand nach so einem Film – obwohl’s ja angeblich, es gab ja bei Natural Born Killers diesen Prozess mit Leuten, die irgendwie ähnlich … Ich halte das ja für einen Unsinn. Man geht nicht aus einem Film und bringt jemand anderen um, das halte ich für absoluten Unsinn.
KM: Ich sage ja, man tut es eben nicht …
MH: Nein, aber das glaube ich eben auch nicht, sondern ich glaube, dass durch die Summe des permanenten Vorhandenseins der Gewalt in den Medien – in allen Medien –, das ja gottseidank ungleich höher ist als im normalen Leben, weil meine persönliche Erfahrung von physischer Gewalt ist Gottseidank äußerst gering und von den meisten Menschen in Europa ist äußerst gering … Ich glaube aber, dass durch die Medien, wenn ununterbrochen Gewalt gezeigt wird, und zwar lustvoll gezeigt wird …
KM: Darf ich Sie hier bremsen? Weil da höre ich jetzt einen Haneke, den ich schon …
MH: Ja gut, dann wissen Sie’s eh.
KM: Ja, die Kälte und die Gewalt.
MH: Ich weiß auch nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind … doch … Tarantino! Das hat halt ursächlich damit zu tun. Weil er der intelligenteste Repräsentant dieser Richtung, oder wie auch immer man das nennen will, ist. Deswegen redet man über ihn. Man könnte ja über hunderttausende andere auch reden, nur die sind halt nicht so gut wie er. (lacht)
KM: Ich mache einen Sprung auf die nicht nur „rein“ konsumierende Seite. Ich muss es tun, nämlich auch Sie mit etwas Schrecklichem konfrontieren: Ich hab es mitgebracht, sie haben’s wahrscheinlich auch gelesen … (Die Ausgabe der Cahiers du Cinéma, in der Haneke der Misanthropie bezichtigt wird) Haben Sie’s gelesen?
MH: Na, glaub ich nicht …
KM: Das war …
MH: Die hassen mich. Cahiers du Cinéma hasst mich.
KM: Das ist offensichtlich, ja. Es ist auch derart verfehlt und schlecht argumentiert …
MH: Naja, der Chef ist ein persönlicher Feind von mir …
KM: Mangels Sensorium für Ambivalenzen köstlich zu lesen …
MH: Nein, ich will mich gar nicht ärgern, ich bin ja kein Masochist. (lacht)
KM: Ich hab mich in meiner Arbeit bemüht, dass sich positive und negative Bezugnahmen einigermaßen die Waage halten. Und nicht nur „die Größen“ unter den Kritikern einbezogen, sondern etwa auch, was die Bloggerin XY zu Ihrem Werk zu sagen hat. Kennen Sie Bruno Latour?
MH: Nein.
KM: Könnt vielleicht ganz interessant sein – weil mir vor längerer Zeit das Projekt, das mit dem Arbeitstitel Flashmob beim ÖFI eingereicht wurde – und zu dem ich Ihnen jetzt keine Frage stellen werde – untergekommen ist … Ein französischer en vogue-Theoretiker, Technikphilosoph, Soziologe, Handwerker, Ingenieur …
MH: Gibt’s den auf Deutsch?
KM: Ja. Der ist sehr streitbar … hier, können Sie behalten (das Buch: Latour, Wir sind nie modern gewesen) …
MH (nimmt das Buch): Wir sind nie modern gewesen … Aha, danke.
KM: Er hat sich mit der Relation von Mensch und Technik, Subjekt und Objekt, sehr hirnwi… also wissenschaftlich auseinandergesetzt, aber dann auch wieder auf eine sehr lustige Art und Weise, jedenfalls sehr streitbar. Nicht, dass ich unbedingt d’accord wäre, mit all dem, was er sagt … Er hat jedenfalls in einem Aufsatz vom „Elend der Kritik“ gesprochen. Nur als Stichwort. Und zur Kritik, nicht nur in Frankreich, lässt sich feststellen, dass sie qualitativ doch eher abnimmt … Ich wollte Sie fragen, anekdotisch … Können Sie sich gerade an eine besonders haarsträubende Bezugnahme auf Ihr Werk erinnern?
MH: Nein, eigentlich nicht. Schauen Sie: Ich lese ja inzwischen … Am Anfang ist es ja wichtig, weil da ist man ja abhängig von der Kritik, als Anfänger. Weil wenn die Kritiken schlecht sind und der Film ist schon nicht sehr lustig, dann ist die Chance, dass man einen zweiten macht, relativ gering. Also da klebt man mehr an dem, was da geschrieben wird. Inzwischen ist mir das relativ wurscht. Aber natürlich: Wenn der Film in Cannes rauskommt, kauf ich mir am nächsten Morgen auch die wichtigsten Zeitungen, um zu sehen, ob der Film angekommen ist oder nicht. Genauso wie ich in der Premiere neugierig bin, wie die Leute reagieren. Aber auch da sieht man sehr schnell, aus welcher Ecke die Kritik kommt. Und gerade Frankreich ist ja ein Musterbeispiel. Also zum Beispiel Cahiers, die mich immer gehasst haben oder Positif, die mich in den Himmel heben: Da kämpfen Kritikercliquen gegen Kritikercliquen und das muss man auch so sehen. Den zieh ich mir gar nicht an, diesen Stiefel, sondern ich lese es und sage: Aha …
Ich weiß ja, wenn ich einen Film gemacht habe, was mir gelungen ist und was mir misslungen ist. Die Frage ist: Wenn die dann das, was mir misslungen ist, aufblatteln, dann bin ich nicht böse, sondern sage: Der ist ja intelligent – schade, dass er’s gemerkt hat! (lacht) Aber wenn ich merke – und das merkt man auch nach zehn Zeilen –, dass da einer dem Apfel vorwirft, dass er keine Birne ist, lese ich gar nicht weiter, weil das interessiert mich nicht. Weil das kann ich immer: Bei jedem Kunstwerk, bei jedem Werk kann ich dem aus einem anderen Gesichtspunkt heraus vorwerfen, warum das verwerflich oder doof oder was auch immer ist. Und werde immer, wenn ich clever bin, genügend Argumente finden, dass ich den niedermache. Das interessiert mich nicht. Mich interessieren Kritiken, die genau sind und da gibt’s halt nicht viele Leute, die genau schreiben können. Also der Alexander Horwath ist zum Beispiel so ein Kritiker, der kann genau schreiben. Der Grissemann kann’s auch noch und Dings und dann sind wir schon ziemlich am Ende in Österreich. In Deutschland für mich der beste Kritiker, den ich dort kenne, ist der Assheuer, weil er kein Filmkritiker ist, weil er kein Fachidiot ist, sondern der kommt aus einer anderen Ecke und da hab ich das Gefühl, der hat verstanden, worum’s geht. Und das interessiert mich. Und wenn einer intelligent mich verreißt, weil er die Fehler entdeckt, oder den Grundgedanken, der falsch ist, dann tut das zwar nicht wohl, aber es freut mich eher, weil ich vielleicht etwas lerne. Aber die sind nur sehr rar, diese Kritiken. Aber im Großen und Ganzen, also gerade bei so Kritiken, die dann so wirklich draufhauen, da hör ich nach fünf Zeilen auf, da lese ich gar nicht weiter, weil warum soll ich mich ärgern? Also das ist mir wurscht. (lacht) Man macht ja einen Film nicht für die Kritiker, man macht einen Film für sich und für die paar Leute, deren Urteil einem wichtig ist. Ob da der Herr XY in Ding das gut oder schlecht findet, ist mir wurscht. Gut ist, wenn’s viele Leute gut finden, weil dann verdien ich mehr. (lacht)
(…)
KM: Das war auch der Grundansatz der Dissertation, dass man einfach zeigt – ohne zu bewerten oder zu erklären – was ‚Haneke’ alles sein kann. Und das kann viel sein. Unglaublich viel.
MH: Ja aber das ist bei jedem so. Sie können nehmen, was weiß ich, irgendeinen, der da halt jetzt in der Reihe steht. Da können’s von jedem so und so finden. Also die reinen Heiligen, die alle gut finden, gibt’s net – nehmen Sie einen der größten: Bresson; wenn Sie sich vorstellen, was da für Blödsinn geschrieben worden ist und wie die den gehasst haben und versucht haben zu verhindern und und und hinein … And so what?
KM: Genau. Und es geht nicht nur um diejenigen, die auf Ihre Kunst Bezug genommen haben, sondern auch um anders Beteiligte. Etwas, das noch immer wieder diskutiert wird …
MH: Übrigens, wenn Sie das alles hier zitieren, was ich da sag, dann bitte auf Hochdeutsch, weil sonst müsst ich mich jetzt bemühen, Hochdeutsch zu reden. Ich red so g’schert, weil es ist lustiger, aber tun Sie’s dann nicht g’schert abdrucken. (lacht)
KM: Ich hätte Sie selbstverständlich noch gefragt … All diejenigen, die ich interviewt habe, haben gerne die Möglichkeit zur Nachbearbeitung …
MH: Ja, wenn’s nicht zu lange ist, lese ich es. Aber wenn’s 50 Seiten sind, dann lese ich’s nicht.
KM: Nein, ich werde nicht alles reinnehmen. Es geht hier nicht um … es schaut zwar so aus, aber es geht hier nun wirklich nicht um Quantität.
MH (lacht)
KM: Etwas, das die deutsche Filmkritik bzw. -wissenschaft – bei den Deutschen geht das ja bisweilen ineinander über – also wo die deutsche Filmwissenschaft ihrer inneren Zerfleischung entgegengetreten ist, das war beim Weißen Band. Jedenfalls kam die alte Debatte wieder auf: die einen sagen, dass ist l’art pour l’art und die anderen sagen, nein das ist doch ein ganz politisches Kino … Das ist natürlich jetzt blöd, weil’s wieder so eine binäre Frage ist, ich muss nur halt …
MH: Ja umso besser. Wenn es das eine wie das andere abdeckt, ist es ja gut. Aber das erzählt nur was über die, die da schreiben, nicht über mich.
KM: Ja.
MH: Ja. Es ist mir ja alles recht …
KM: Ihnen ist alles recht?
MH: Mir ist alles recht. (lacht und scherzt:) Je mehr Papier gefüllt wird über mich, umso mehr trägt’s zum Ruhm bei … Nein, das ist albern. Also: Ich finde das völlig idiotisch, zu sagen, das ist reines l’art pour l’art, aber ja natürlich, ich kann es so interpretieren, weil die Filme formal sehr anspruchsvoll gemacht sind. Da kann ich mich natürlich daran festhalten, weil mir das andere nicht passt. Und ein anderer, der sagt, es ist ein politischer Film … Ja: kommt darauf an, wofür man eingemeindet werden soll. Also ich hab mich ja immer dagegen verwehrt, tagespolitische Filme zu machen oder auch mich zu tagespolitischen Sachen zu äußern. Aber ich hoffe, dass die Haltung meiner Filme eine politische ist. Nämlich letztendlich hat das mit Adorno natürlich zu tun. Aber das ist eine andere Form von … Ich werde nie vergessen, da gibt’s ein sehr schönes Probenprotokoll von den Proben von Klaus Michael Grüber zu Hölderlins Empedokles. Ein wunderbares Probenprotokoll vom Peter Iden und da waren gerade die 68er ganz massiv da und sind gekommen mit: „Wo bleibt die politische Aktualität?“ – Wo der Grüber dann einmal auszuckt und sagt: „Hört’s mit diesen dämlichen Dings auf! Das, was wir da machen, ist das eigentlich Politische, weil das betrifft einen jeden und hat nichts mit irgendwelchen kurzzeitigen Aktualitäten zu tun.“ Und das ist es. Man kann fragen: Ist Tarkowskis Spiegel ein politischer Film? – Ist ein hochpolitischer Film. Aber ich kann genauso gut sagen, es ist reines l’art pour l’art, wenn ich will, ja. – Gottseidank ist er beides. (lacht)
KM: Eine letzte Frage, weil Sie gesagt haben, dass Sie sich tagespolitisch nicht äußern wollen … Vielleicht hab ich diesbezüglich zu wenig recherchiert, aber was ich nicht herausgefunden habe: 2000, als die schwarz-blaue Koalition angelobt wurde, war ein Episodenfilmprojekt anvisiert. Es hätte ein Episondenfilmprojekt mit dem Arbeitstitel Österreich heute: Work in progress geben sollen, das aber nie zustande gekommen ist. Das war eine Zeit, wo Sie unglaublich stark …
MH: Kann ich mich dunkel erinnern, ja.
KM: Weiß man da noch, woran das letztlich gescheitert ist?
MH: Keine Ahnung. Jetzt, wo Sie es sagen, kann ich mich so dunkel erinnern. Also wenn man mich da gefragt hat, hab ich sicher nein gesagt, aber aus dem simplen Grund, da ich Episodenfilme … – Ist ein eigenes Genre, das fast nie gelingt. Ich kenne eigentlich keinen guten Episodenfilm. Selbst große Leute wie Godard … das waren meistens schlechte Filme. Und aus dem Grund hätte ich wahrscheinlich schon nicht mitgemacht. Und Filme, die anlässlich einer tagespolitischen Aktualität, sprich ein Haider oder so …: Da geht man lieber wählen, oder unterschreibt und macht irgendein Ding … aber keinen Film. Also ich nicht. Das ist mir zu simpel.
KM: Dann danke ich …
MH: Ich danke für das Buch …
KM: … denn das Wort „simpel“ als Schlusswort gefällt mir.
MH (wiederholt leise): Das ist mir zu simpel, ja … Vielen Dank erst einmal, vielleicht geht mir da eine Glühbirne auf, wenn ich das lese …
KM: Vielleicht ist es auch vollkommener Blödsinn …
(…)
MH: Warum braucht eine deutsche Arbeit einen englischen Titel?
KM: Antragsprosa. Damit’s ein Geld dafür gibt.
* Haneke musste unser zunächst am Land vorgesehenes Gespräch kurzfristig in die Stadt verlegen, da sowohl sein Mobiltelefon als auch sein Computer nicht funktionierten und folglich einer Reparatur bedurften.
Original erschienen in: Müller, Katharina: Haneke. Keine Biografie, Bielefeld: transcript 2014, S. 373-392 (https://doi.org/10.14361/transcript.9783839428382.373).
Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung durch den transcript Verlag