Österreichischer Film?

Katharina Müller

Wovon sprechen wir, wenn wir von österreichischem Film sprechen?

Drei Punkte:

Österreichischer Film, würde ich sagen, ist eine Frage der Perspektivierung. Es ist das unwägbare Substrat aus Institutionen und Akteur*innen, die an seinem Werden – von der Idee bis ins Archiv – beteiligt sind. Von Projektentwicklung, über Förderung, Produktion, Präsentation/Verwertung, bis hin zur Bewahrung. Also multiperspektivisch nur begreifbar.

Für jene, die ihn als Künstler*innen ersinnen, ist er vielleicht eine Bezugnahme auf oder eine Abkehr von Verhältnissen. Für jene, die ihn historisieren, ist er – entlang gesellschaftlicher Entwicklungen – als Motivgeschichte erfassbar: Irgendwo zwischen Tod, Blut, Boden, Scham, Obsession und einem fragwürdigen Frauenbild. Oder als Mentalitätsgeschichte. Oder als Geschichte(n) der Migration.

Die journalistische Bezugnahme national und international ist uns bekannt, von Österreich als „world capital of feel bad cinema“ war vor 15 Jahren in der New York Times die Rede.
Austrian Film = bad sex and depression.

In einem wissenschaftlichen Band mit dem Titel „The Cinema of Small Nations“ von 2007 kommt der österreichische Film zum Beispiel gar nicht vor (Das kann man in mindestens zwei Richtungen auslegen!).

Für die einen ist er eine DVD-Edition, für die anderen ein „Exportschlager in Sachen Kultur“. Für die, die er angeblich nicht interessiert, die sich aber im Standardforum oder auf Facebook drüber auslassen, ist der österreichische Film eine nur mit negativem Geschmacksurteil zu bewältigende Kategorie.

Für jene, die ihn fördern muss alles, was sich zwischen FtWTF – Female to What The Fuck und Klammer – Chasing The Line vorstellen lässt, zumindest berücksichtigt werden.

Für jene, die ihn bewerben: hat sich der Begriff der Diversität sehr bewährt – unter dem Vorwand der Form hatte er lange Zeit mit Diversity, im Sinne der strukturellen Herstellung von Wirklichkeiten und Chancengleichheit nach Maßgabe des Abbaus von Diskriminierung mit Blick auf Geschlecht, Ethnizität, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung und physische und psychische Verfassung nicht viel zu tun gehabt. Das hat sich inzwischen – vor allem auf Betreiben von Frauen* in der Branche hin – geändert. Und es gibt noch viel zu tun.

Für jene, die sich intersektional, also mit Blick auf Diskriminierungsformen, mit ihm befassen: ist der österreichische Film der Ort, wo Schwarze Personen bzw. BIPoCs strukturell praktisch nicht vorkommen, und als Figuren innerfilmisch mehrheitlich immer noch keinen „österreichischen“ Namen haben. Da heißt kaum eine*r Müller, oder Huber, oder Maier. Was erstaunlich ist. Es ist ein Ort der Zweigeschlechtlichkeit, wo sexuelle „Minderheiten“ noch nicht allzu lange eine visuelle Repräsentation erfahren, und wenn, dann eher als isolierte Einzelschicksale, die irgendwo zwischen Dorftrotteldasein und dramatischem Coming-Out mehr oder weniger erfolgreich Assimilationsleistungen erbringen müssen.
Oder auch: Der Ort, wo nach wie vor auffällig wenig bundesdeutscher Cast vorkommt.
Stellen Sie sich vor, ich hätte jetzt afrodeutscher Cast gesagt.

Für das Arthouse-Segment hat sich, als Schnittmenge für die Qualitäten des österreichischen Films, eine Marke herausgebildet. Ich habe sie in einem Disaster-Girl-Meme zusammengefasst:

Könnte auch „Happy End“ heißen, das Meme.

Die absolute Mehrheit jener, die in und mit Verbindungslinien nach Österreich leben, hat den österreichischen Film überhaupt nicht am Schirm.

Fazit: Wenn wir österreichischen Film als politisches Feld verstehen: Dann ist es kein konfliktfreier Ort. Sondern ein Ort, an dem unterschiedliche Interessen zusammenkommen. Es geht auch nicht darum, einen konfliktfreien Ort herzustellen, sondern darum, in Dialog zu treten und zu kollaborieren.

Daher, 2: Wenn wir von Umbruch sprechen, ist „Österreichischer Film?“ auch als Einladung zu verstehen, was und vor allem für wen österreichischer Film sein will. Und welche Banden sich bilden wollen.

Eine Funktion von Film, die mir maßgeblich erscheint, finden wir, wenn wir zurück in die Geschichte blicken, zu den Anfängen von Film, am Jahrmarkt und im wissenschaftlichen Labor.
Dort finden wir das, was Elisabeth Büttner und Christian Dewald als ein „In Bewegung geraten“ beschrieben haben: Kino begründet ein Sinnverhältnis. Es verändert Distanzen, hebt – ganz wichtig derzeit – Beziehungen zum Selbst auf und schafft neue. Stabile Zuordnungen werden infrage gestellt, das Fremde rückt nahe, das Eigene wird flüchtig. Die Welt wird verkürzt und verdichtet. Im Kino an einen Ort gebannt.

Aber da geht grad kaum einer hin.

Trotzdem finden wir Kino und Film in audiovisuellen Spuren, die zirkulieren. In politischen Kampfzonen der Social Media wie TikTok, wo gesellschaftliche Ereignisse mit Kino, Filmen und Serien verglichen oder sogar filmisch re-inszeniert werden. Wo Ambitionen und Ästhetiken in Memes und Reenactments ein Fortleben finden. Unser Denken ist kinematografisch, schreibt sinngemäß Henri Bergson, und eine der Weisen, wie Politik debattiert wird ist filmisch. Und: Film und Kino vermögen nach wie vor zu affizieren. Es gibt also keinen Grund, sich aus der Verantwortung zu ziehen.

3. Kino hat, wie auch Sex – und das ist meines Erachtens die beste Rechtfertigung für seinen Erhalt durch die Öffentlichkeit – einen Effekt auf das Subjekt: nämlich eine identitätszersetzende Kraft.

Wir leben in einer Migrationsgesellschaft. Diversität ist da. Wir leben in einem kapitalistischen System, wir arbeiten mehrheitlich in prekären Verhältnissen. In einem Moment der Prekarität demokratischer Grundprinzipien, in dem Solidarität und Zusammenhalt immer wesentlicher werden. Und zwar im Utopischen wie im Dystopischen. Das große Narrativ eines Österreichischen Films, in dem vermeintliche Minderheiten der Gesellschaft unterrepräsentiert bleiben und vor allem strukturell, in seiner Erschaffung keine Rolle spielen, hat Risiken. Mit Blick auf Demokratie und Zusammenleben ist es sogar fahrlässig.

Daher: Bad sex and depression (und ein bisserl Kabarett) ist vielleicht auch eine Erfindung jener, die nur das sehen können.

Um bei der Sexmetapher zu bleiben: Ich hab’ im österreichischen Film auf der Leinwand inzwischen mehr als Depression und schlechten Penetrationssex in nur eine Richtung gesehen, und in internationalen queer-feministischen und postmigrantischen Entwürfen finden wir reichlich Inspiration.

Wie aber schaut es strukturell aus? Welche sind die Dildos und Strap-ons der Branche, um die Risiken des großen Narrativs – mit Steffi Sargnagel gesagt – zu „zerficken“?
Sind es wirklich nur Richtlinien und Incentives, in der Anwendung auf das, was schon da ist? Oder müssten wir nicht auch mit einer Defizitanalyse beginnen, die ganz wo anders ansetzt? Dort zum Beispiel, wo man gar nicht auf die Idee kommt, man könnte – aktiv oder passiv – irgendwas mit dem österreichischen Film zu tun haben?

Der Text basiert auf einem Impuls-Vortrag von Katharina Müller anlässlich des Tags der Akademie des Österreichischen Films vom 12.10.2021, der unter dem Motto „Zeiten im Umbruch. Österreichisches Filmschaffen im Diversitäts-Check“ stattfand. Die daran anschließende Podiumsdiskussion mit Houchang Allahyari (Regisseur), Sebastian Höglinger & Peter Schernhuber (Leitung Diagonale – Festival des österreichischen Films), Arash T. Riahi (Regisseur, Produzent), Isabelle Welter (Produzentin, Initiative „Inclusion Rider“) und Weina Zhao (Regisseurin) handelte leitmotivisch von Angst, Rassismus und Sexismus sowie von der Dringlichkeit, sich damit auseinanderzusetzen. Der Handlungsdruck ist offenbar noch nicht groß genug.