Peter Lorre: Augen schauen Dich an – G wie grandioses Gesicht

Elisabeth Streit

Peter Lorre in Hollywood

Die Augen, die Stimme, das Gesicht: all das fällt uns ein und erinnern wir, wenn wir an Peter Lorre und seine von ihm dargestellten Charaktere denken. Wie grandios Lorre als Schauspieler war, wusste schon Bert Brecht als er dieses Gedicht 1950 an den Freund verfasste:

An den Schauspieler P.L. im Exil

Höre, wir rufen dich zurück. Verjagter / Jetzt sollst Du wiederkommen. Aus dem Land / Da einst Milch und Honig geflossen ist / Bist Du verjagt worden. Zurückgerufen / Wirst Du in das Land, das zerstört ist. / Und nichts anderes mehr / Können wir Dir bieten, als dass du gebraucht wirst. / Arm oder reich / Gesund oder krank / Vergiss alles / Und komm.

Für unser Buch “Peter Lorre. Ein Fremder im Paradies” hatten wir 2003 bei Elfriede Jelinek nachgefragt, ob sie Zeit und Lust hätte einen Text über Peter Lorre zu schreiben. Zu unserer großen Überraschung und Freude sagte sie ohne Umschweife zu und verfasste einen schnörkellosen Text zu Peter Lorres Gesicht:

[…] Daher kann das Gesicht nur diesem einen Schauspieler gehören, aber es kann doch gleichzeitig einem Mann, einer Frau oder einem Kind gehören. Indem es so typisiert ist, kann es gleichzeitig zu jedem gehören, und indem diese eigenartigen Züge, die da gesprossen sind, gewissermaßen verduften, verfliegen, ohne sich je zu verfestigen, können sie einen Mörder beherbergen, einen Naziverbrecher, einen Mörder, der ein Opfer ist, oder ein Opfer, das eigentlich ein Mörder ist. Ein Kind, das gleichzeitig der Mörder von Kindern ist. Kinder sind ja bekanntlich die grausamsten Wesen überhaupt, weil sie je schon unschuldig waren und es daher bleiben müssen, solang ihr Kindstatus anhält, der sich gleichzeitig aber nicht anhalten läßt. Peter Lorre ist ein Schauspieler im andauernden Kindstatus, der alles weiß und gleichzeitig schuldig wie unschuldig ist. […] Dieses Gesicht Peter Lorres oszilliert sozusagen zwischen Erscheinung und Gegenstand, Zweck dieser Erscheinung, und den Zweck erkennt man in den Filmen, in denen Peter Lorre mitspielt, auf den ersten Blick, und zwar erkennt man es AN seinem Blick, der ja immer der erste Blick ist, der je geworfen wurde. Ein Blick, an dem man ausprobiert, ob man trifft. Vielleicht weil es diesen Schauspieler gar nicht gibt, gerade indem man sofort sieht, was, wer er ist?

So bleibt Peter Lorre mehr als nur ein Grimassenschneider, eine durch das Licht des Projektors erzeugte Chimäre auf der Leinwand. Er bleibt ein untentschlüsseltes Rätsel, das uns jedes Mal durch seine Präsenz auf der Leinwand hypnotisiert, in Staunen versetzt und uns verändert zurücklässt.

P.S.: Unser Buch erschien im Juni 2004 und Elfriede Jelinek gewann im Herbst selben Jahres den Literaturnobelpreis für ihr Gesamtwerk. Wir als Herausgeber*innen sind bis heute davon überzeugt, dass es auch etwas mit Peter Lorre zu tun hatte.

Literatur

Omasta/Mayr/Streit, Peter Lorre. Ein Fremder im Paradies, Wien: Zsolnay 2004.