Einmal heben die Pferde die Köpfe und spitzen die Ohren. Dann sinken sie wieder in ihr träumen zurück. Wir achten kaum darauf, und lassen uns in unserem halblauten Gespräch nicht stören. Als ich aber nach einigen Minuten auf eine Frage keine Antwort von Olentiew erhalte, wende ich mich nach ihm um. Ich sehe, dass er aufgestanden ist und in angespannter Haltung, die Augen mit der Hand vor dem Feuerschein schützend, in die Dunkelheit späht. „Was gibts da frage ich ihn.“ „Es kommt jemand den Berg herunter“, gibt er mir flüsternd zurück. Ich richtete mich auf, und wir lauschten beide, aber ringsum blieb alles still. So still, wie es nur tief im Walde sein kann, in einer kalten, finsteren Herbstnacht.
Doch jetzt rollten einige Steinchen den Berg herab. „Wahrscheinlich ein Bär“, murmelte Olentiew und machte seine Büchse schussbereit. „Lass das Schießen ich bin ein Mensch“, tönte plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit, und gleich darauf trat ein Mann an unser Feuer. „Guten Tag Kapitan“, wandte sich der sonderbare Ankömmling an mich, dann stellte er ruhig seine Büchse an den Baum. Gekleidet war er in einen kurzen Rock aus gegerbten Hirschleder mit ebensolchen Beinkleidern. Um den Kopf hatte er eine Art Binde, seine Füße steckten in Stiefeln, aus weichem Leder genäht. Auf dem Rücken trug er ein großes Felleisen, dazu einen Knüppel in den Händen. Seine Bewaffnung bestand aus einem Jagdmesser am Gürtel und in der erwähnten Büchse, einem alten Berdangewehr. Nun nahm er auch das Bündel von der Schulter, und indem er sich mit dem Rockärmel den Schweiß von der Stirn wischte, setzte er sich ans Feuer. Jetzt konnte ich ihn besser betrachten. Er schien ungefähr fünfundvierzig Jahre alt zu sein, war nicht groß von Wuchs, aber stämmig und mit ziemlichen Körperkräften ausgerüstet. Die Brust war gewölbt, die Arme stark und muskulös, die Beine etwas krumm. Das dunkle, sonnenverbrannte Gesicht zeigte die typischen Züge des Eingeborenen: Die hervortretenden Backenknochen, die kleine Nase, die mongolisch geschnittenen Augen, den breiten Mund mit starken Zähnen. Ein dünner rötlicher Bart umsäumte seine Oberlippe, und ein ähnlicher zierte das Kinn. Das bemerkenswerteste an ihm waren seine Augen. Dunkelgrau, aber nicht schwarz, blickten sie ruhig und etwas naiv. Gutmütigkeit und Geradheit des Charakters, aber auch Entschlossenheit schien aus ihnen zu sprechen. Während wir den Unbekannten aufmerksam musterten, schien er an uns kaum etwas bemerkenswertes zu finden. Er kramte aus seinem Felleisen ein Beutelchen mit Tabak hervor, stopfte seine Pfeife und begann schweigend zu rauchen. Ohne ihn weiter zu fragen, wer er sei und woher er käme, bot ich ihm zu essen an – so ist es Sitte in der Taiga. „Dankschön Kapitan“, sagte er, „hab‘ viel Hunger, heute noch nichts gegessen“. Dann langte er zu. Während er aß, fuhr ich fort, ihn zu betrachten. Allem Anscheine nach war er Jäger. Seine Hände waren schwielig und grob, sein Gesicht voller Runzeln und Narben, eine besonders große Narbe trug er an der Stirn, eine ähnliche am Halse, nahe dem Ohr. Der Unbekannte nahm die Binde von Kopfe und ich sah, dass er mit dichtem schwarzem Haar bedeckt war; es wuchs unregelmäßig durcheinander, und an den Seiten hing es in langen Zotteln herab. Unser Gast gehörte zu den Schweigsamen. Olentiew konnte aber seine Neugier nicht länger bezähmen. „Was wärst du den jetzt für einer, ein Chinese oder ein Koreaner?“ fragte er ihn ohne Umschweife.
Der Fremde antwortete kurz: „Ich bin ein Golde.“
Wladimir K. Arseniew (1924), In der Wildnis Ostsibiriens, Bd. 1. August Scherl GmbH, Berlin.
Zu sehen im Österreichischen Filmmuseum in der Reihe “Collection on Screen: The Other”.