Elisabeth Streit
In seinem vorletzten Film Le Diable probablement wandte sich Robert Bresson nach Lancelot du Lac (1974) wieder zeitgenössischen Themen zu. Das in eine grausame und kapitalistische Welt hineingeworfene Individuum war die zentrale Überlegung Bressons und er schuf 1977 mit seinem Film eine dunkle Vision was noch alles auf uns zukommen würde.
Robert Bresson:
„Was mich dazu veranlasst hat, diesen Film zu drehen, ist das weltweite Durcheinander, zu dem alles geworden ist. Diese Massengesellschaft, in der es bald keine Individuen mehr geben wird. Diese mechanische Betriebsamkeit. Diese ungeheuren Akte der Zerstörung, Akte, von denen es einst schien, dass sie uns am Leben erhalten würden. Dann auch diese verblüffende Gleichgültigkeit der Leute. Eine Gleichgültigkeit, die alle zeigen mit Ausnahme einiger weniger Jugendlicher, die klar sehen, was geschieht.“
Fjodor Dostojewski stellte in Der Idiot 110 Jahre zuvor nicht unähnliche Vergleiche und Ansichten an:
“Womit wollt ihr die Welt retten, und wo habt ihr eine normale Linie des Fortschritts dafür gefunden, ihr Männer der Wissenschaft, der Zusammenarbeit, des Arbeitslohns und all der anderen Dinge? Mit Kredit? Was ist Kredit? Wohin wird euch der Kredit führen? […] Ohne irgendeine moralische Grundlage anzuerkennen, außer der Befriedigung des individuellen Egoismus und der materiellen Notwendigkeit! […] Es ist ein Gesetz, das ist wahr; aber es ist nicht normaler als das Gesetz der Zerstörung oder gar der Selbstzerstörung. […] Ja, Herr, das Gesetz der Selbstzerstörung und das Gesetz der Selbsterhaltung sind in der Menschheit gleich stark! Der Teufel hat die gleiche Herrschaft über die Menschheit bis zur Grenze der Zeit, die wir nicht kennen. Sie lachen? Du glaubst nicht an den Teufel? Der Unglaube an den Teufel ist eine französische Idee, eine leichtsinnige Idee. Wisst ihr, wer der Teufel ist? Kennen Sie seinen Namen? Ohne seinen Namen zu kennen, lacht ihr über seine Gestalt, nach Voltaires Beispiel, über seine Hufe, seinen Schwanz, seine Hörner, die ihr erfunden habt; denn der böse Geist ist ein mächtiger, bedrohlicher Geist, aber er hat nicht die Hufe und Hörner, die ihr für ihn erfunden habt.”
Bressons großes Wagnis bestand darin, den Teufel mit seinen eigenen Waffen herauszufordern. Denn wenn, wie Charles Baudelaire sagt, “der schönste Trick des Teufels darin besteht, dich davon zu überzeugen, dass es ihn nicht gibt”, warum sollten wir daran zweifeln, dass das bevorzugte Instrument dieses Tricks ein anderes ist als das, das ihn durch Banalisierung verbirgt. Vier rebellische Teenager bilden eine kleine Umweltgruppe, die sich um die Zukunft der Welt sorgt. Der militante Michel versucht, mit seinen bescheidenen Mitteln zu kämpfen, während Charles, der von der Gesellschaft angewidert ist, das Engagement ablehnt. Ab Ende der 1970er Jahre begann der Filmemacher, was damals äußerst selten war, über die Ökologie und die Zukunft des Lebens nachzudenken. Die dokumentarischen Bilder, die die Jugendlichen sehen, sind unerträglich: Entwaldung, Verschmutzung von Flussläufen, Massaker an Robbenbabys. Der Regisseur scheint von der Revolte einer Generation gegen die Konsumgesellschaft fasziniert zu sein, ist aber auch dankbar für die prekäre Organisation der Jugendlichen und die altersbedingten existenziellen Schwierigkeiten, die sich mit ihren Gefühlsproblemen vermischen. So wird die Geschichte ihrer Bewusstwerdung ergreifend und mehr denn je aktuell. Denn durch die Figuren von Michel und Charles, jenseits ihrer Freundschaft und ihrer Rivalität in der Liebe, stehen sich im Film zwei Auffassungen von Klarheit gegenüber: Engagement gegen Nihilismus; Militanz, selbst wenn sie verzweifelt ist, gegen den hochmütigen Tod. Le Diable probablement ist eine Geschichte über existenzielle Einsamkeit und Bresson lässt uns die unendliche und beunruhigende Freiheit, daran zu glauben.
Als der Film auf der Berlinale gezeigt wurde und die Jury entsetzt war, gelang es Rainer Werner Fassbinder, der in der Jury saß, dennoch, dass der Film mit einem Spezialpreis bedacht wurde. Fassbinders Haltung zu dem Film war kurz und bündig:
“Robert Bressons Le Diable probablement … ist der erschütterndste Film, den ich bei den Berliner Festspielen gesehen habe. Ich denke, es ist ein großer Film […]. In der Zukunft – und diese Welt wird wahrscheinlich noch ein paar tausend Jahre bestehen – wird dieser Film wichtiger sein als all der Quatsch, der jetzt als wichtig gilt, aber nie wirklich in die Tiefe geht […]. Die Fragen, die Bresson stellt, werden nie unwichtig sein.”
Zu sehen im Österreichischen Filmmuseum in der Reihe “Collection on Screen: The Other”.