Elisabeth Streit
Zum Auftakt* von Collection on Screen – Peter Lorre: Augen schauen Dich an steht eine Klammer. Wir beginnen mit M (D 1931) von Fritz Lang und danach folgt Peter Lorres einzige Regiearbeit Der Verlorene (BRD 1951), mit Kurt Krens avantgardistischer Lorre-Hommage tausendjahrekino (A 1995) als Vorfilm. M verhilft Lorre zum Durchbruch und Der Verlorene markiert seinen endgültigen Bruch mit Europa.
Peter Lorres Leben ist durch unzählige Anfänge gekennzeichnet. Er kommt 1904 in der heutigen Slowakei zur Welt. 1913 zieht die Familie nach Wien und nach einem kurzen Zwischenspiel in Mödling übersiedelt sie 1917 endgültig in die Hauptstadt. Lorre beginnt auf Wunsch seines Vaters eine Lehre in der Anglo-Österreichischen Bank, aber eigentlich schlägt sein Herz schon lange für die Schauspielerei. Am Beginn der 1920er Jahre trifft er auf den Kreis um Jacob Levy Moreno, dem Begründer des Stegreiftheaters. Hier lernt er alles, was ihm für sein späteres Schauspielerleben nützlich sein wird. Jacob Levy Moreno „gibt“ ihm seinen Künstlernamen und er lernt sein künstlerisches Ich frei und spielerisch umzusetzen. Der Literaturkritiker und Freund Hans Sahl erinnert sich:
„Peter Lorre wurde mein Freund. Er liebte es, sich selbst zu parodieren, um andere zu erschrecken. Wir gingen oft nächtelang durch die Gassen vor Breslau und sprachen von künftigem Ruhm und von der Schwierigkeit, etwas aus uns zu machen. ‚Ich will lieber ein kleiner Schauspieler bleiben, der kleine Rollen gut spielt, als ein großer Schauspieler, der große Rollen klein spielt.‘“
Mit dieser grundlegenden Erkenntnis ebnet sich Lorre den Weg zu seiner Karriere gewissermaßen selbst. Aber dennoch, seine Einzigartigkeit bleibt den Regisseuren am Theater und im Film zum Glück nicht verborgen. Ende der 1920er Jahre reüssiert er erfolgreich im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin und in Karl Leiters Die verschwundene Frau (Ö 1929) gibt er in einer Kleinstrolle unbemerkt sein Filmdebut. Die Rolle des Hans Beckert in Fritz Langs M ist sowohl für den Regisseur als auch den Schauspieler wiederum so etwas wie ein Anfang. M ist Fritz Langs erster Tonfilm und Peter Lorres Darstellung des psychisch kranken Triebtäters, der an die Serienmörder Fritz Haarmann und Peter Kürten angelehnt ist, verhilft ihm zum internationalen Durchbruch. Die Premiere findet am 11. Mai 1931 im Berliner UFA-Palast am Zoo statt und der Film gerät zum Publikumserfolg. Lob kommt auch von ungewöhnlicher Seite und basiert dabei auf einem offensichtlichen Missverständnis. Joseph Goebbels schreibt nach einem Kinobesuch begeistert:
„Abends mit Magda Film ‚M‘ von Fritz Lang gesehen. Fabelhaft! Gegen die Humanitätsduselei. Für Todesstrafe! Gut gemacht. Lang wird einmal unser Regisseur. Er ist schöpferisch.“
Ab dem 4. Juli 1934 belegen die Nationalsozialisten den Film mit einem Aufführungsverbot. In Fritz Hipplers antisemitischen Propagandafilm Der ewige Jude (D 1940) wird Lorres großer Monolog für die Behauptung verwendet, dass eine „vehemente jüdische Propaganda“ daran gearbeitet habe, das Rechtsempfinden des deutschen Volkes vorsätzlich zu verdrehen. Daher meine Empfehlung an Sie, liebes Publikum: Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung!
*Die Retrospektive zu Peter Lorre startete am 22.01.2023 mit M (D 1931) um 18 Uhr, gefolgt von tausendjahrekino (A 1995) und Der Verlorene (BRD 1951) um 20.30 Uhr.
Literatur
Omasta/Mayr/Streit, Peter Lorre. Ein Fremder im Paradies, Wien: Zsolnay 2004.
Goebbels: Tagebücher, Eintrag vom 21. Mai 1931.