Unter leeren Logen

Gedanken und Miniaturen zu Katrina Daschners Hiding in the Lights (2020) von Katharina Müller

Eine leuchtrote Meduse quert, im zarten Rückstoßprinzip, das nachtschwarze Kadermeer. Namen scheinen auf, fließen ineinander. Es performen: Hyo Lee, Gisi Håkansson, Denice Bourbon, Captain Cunt, Denise Kottlett, Sushila Mesquita, Stefanie Sourial, Sabine Marte, Moira Hille, Katrina Daschner, Veza Maria Fernandez, Corduly Thym, Denise Palmieri, Angela Tiefenthaler, Silk Graf, Frankie Fierce, Dorisa Arztmann, Eva Trimmel, Ernesta Sardarabad, Dorit Margreiter. An der Kamera: Hannes Böck.

Hiding in the Lights, 2020, Katrina Daschner

Katrina Daschner verwebt in Hiding in the Lights (2020) den performativen queeren Kosmos ihrer an Arthur Schnitzlers Traumnovelle orientierten achtteiligen Filmserie zu einer sonor stillen und visuell opulenten, abendfüllenden Oper. In betörender Plastizität lässt sie prangend jene Träume erblühen, die Schnitzler dem ernüchternden Erwachen im Korsett bürgerlicher Moral opfert. Daschner verfährt im denkbar umfassendsten Kontrastprogramm, das Sex nicht dem bloßen Genussversprechen imaginierter Bilder überlässt. Begehren, Lust und Projektionen werden hier jenseits verankerter Genderpositionen ausagiert und repolitisiert, ihre phallische Verwaltung nicht nur performativ verkehrt und destabilisiert: Verlangen, Affekt und sexpositive Kultur werden hier – über die Belange des post-pornografischen, queeren Subjekts hinausweisend – in ihrem utopischen und revolutionären Potential alternativer, artenübergreifender Formen der Kollektivität und Konnektivität begreiflich.

Repräsentation ist nicht alles: Was an Galanterie, Maskerade, Fetisch, Widerstand und Exzentrik im Ästhetischen und Gestischen der New Burlesque möglich ist, reizt Daschner in einem subtilen Mix an künstlerischen Möglichkeiten aus. In historischer Rückwendung zu den Anfängen des Kinos erweitert sie es in kosmische Dimensionen: In diesem schillernden, pulsierenden, fluiden, nassen, pudrigen, fleischlichen Kosmos, der immer auch Bühne ist, lädt sie Queer mit jener identitätszersetzenden Kraft auf, der das Experiment historisch entspringt: sexuelles Begehren, als ein Begehren nach Veränderung des Ganzen.

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Rauer rotviolett gemaserter Stoff säumt den Aufmarsch. Ein Dutzend Frauen* defiliert im Gleichschritt in die Lautlosigkeit eines Kinos der Ansicht. Der Zuschauerraum indes bleibt leer. Perückenhaar stürzt pferdeschwanzartig von den Epauletten der Butches*, die Uniformen nicht uniform, aber verbindend, Lederriemen um die Brust. Die Femmes*, Cul de Paris, opulent umhüllt von schwerem Tuch. Zwei Truppen stampfen vorbei an der Kamera, dann aufeinander und auf uns zu. Eine Butch*/Femme*-Réunion. Wir werden hier angeschaut, die Blicke konfrontativ und durchdringend, der Gleichschritt militant. Keine Hintern auf den Sitzen aber Sitze, die zu Hintern werden: Übertragung, eins, zwo, drei, vier. Harte hornyness beim Schauen, eine Reiterhose wird aufgezippt, der Arsch glitzert violett, ein Rosenkopf aus dem Schlitz gepflückt. Tentakelhaft die Luster, verzehrt die Rose, Schlitze im roten Samt. Wachs tropft auf die prangend erblühte Backe. Feuerwaffenhände fingern von hinten. Unter leeren Logen wird genommen, eins, zwo, drei, vier Stöße in die effeminierte Stille des Teatro Reggio. Rotglühend die Lippen der Butches*. Brüste werden ausgepackt. Synchron befasst die Backen im Abgang. Hier räumt sich Lust den Weg frei, souverän, kompromisslos.

2

Confetti schneit silbern in die Blackbox. Zwei Performerinnen*, Bourbon und Daschner, galant und divenhaft im Applauszuspieler, geben und nehmen in schillernder Größe alles. Bunte Pailletten auf Schwarz im Freeze-Frame, pfeifendes Getöse und Geklatsche aus den verlassenen Rängen des Palau de les Artes Reina Sofía. An gelb-ledernen und braunen Wänden schmiegend und tastend erregen sie sich, die eine folgt der anderen, zum Tanz im Stroboskop. Ein Schattenvorhang öffnet sich, gedoppelte merkelsche Muttihaftigkeit bleckt konfrontativ die Goldzahnfront. Vollbusig der Perlenkopfstecknadelring. Krokodilledergold weicht einer schwindelerregenden Perspektive auf die weißen runden Balkone des unbesuchten Operntheaters. Ganz nah dann die Gesichter der Vedetten, überblendet vom Silberschnee. Schwarzblende. Die Gerten bereit, eine Spannung breitet sich aus, Bourbon und Daschner, Lingerie Burlesque, durchdringenden Blicks, fordern uns heraus. Kontrastiv die Abstraktion der gebogenen architektonischen Linien. Weiche Verläufe, harte Schnitte, die Revue ein Saloon. Güldene Paillettenpanzer, Federfell, Zirkuszitat und Grimassenmarathon. Dem johlenden Geschrei nach Zugabe folgt ein letzter Auftritt. Im Glanz ihrer perlen- und diamantengarnierten Leiber, Bourbon und Daschner, süchtig, sehnsüchtig, wolllüstig. Zwei Hände finden im Close-Up zögerlich in eine zarte Berührung, öffnen, entre femmes, den Samtvorhang ins Blaue.

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Silberkettenvorhänge umfloren in der Dunkelheit platzierte Körper im weißen Stoffkokon. Frühbarocke Wandmalereien weisen hell und farbgedämpft ins Grüne. Stolze Vogelwesen vor Sumpflandschaft und Burg, Gezwitscher aus dem Off. Fell bewegt sich bei der Atmung eines Tieres. Die wandgewordene Flora changiert mit der Natur, schlafende Pfoten liegen im Gras. Erbsenschoten leuchten reif aus der Zweidimensionalität, ein pfauenbuntes Feenwesen schläft unter der Pracht seiner Blumenperücke tief in die Begrenztheit der Großaufnahme hinein. Fell hebt und senkt sich; ein weiteres Feenwesen, sumpfgrün, ein Faun vielleicht, erwacht, staunt und reibt sich wonnig an einem skulpturalen Lustobjekt. Glitzerstreifenspuren der Tribadie verbleiben in feinen Linien. Ein drittes Wesen erwacht, erfühlt und erfasst ein weiteres Objekt dieser in anorganischen Abstraktionen greifbar werdenden Parallelwelt. Sie werden mehr, umtanzen menschengroße Dildos, ein Kosmos der Berührung entbindet sich, Säfte fließen über vielfarbige, irisierende Körper. Was sich in der illusionistischen Freskomalerei (Getreidespeicher Schloss Harmannsdorf) symbolisch andeutet, mündet in die Konkretion alternativer Formen der Konvivialität.

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Fadengewirr der Seeanemone wogt begehrlich in der maritimen Fauna. Ein meerblauer Lamettavorhang eröffnet funkelnd einen fluiden Reigen erotisch aufgeladener Organismen. Ruinenhafte Aussicht auf ein Meer, Glitzerregen fällt, Lichtpunkte schwimmen vor der Linse. Ein verlassenes Freilichtauditorium (Theatro Greco Tindari Sicilia) streut den Blick, der bald in die lockende Tiefe einer Öffnung im Felsen fällt. Sanft pulsieren Quallen durch den Kader, unsere Atmung geht in Resonanz. Die Kamera haftet an menschlichen Körperfragmenten, überführt sie, bar jeder geschlechtlichen Markierung, in abstrakten Sex. In der Unmöglichkeit anatomischer Orientierung dominieren Lust und Wonne; Falten und Spalten weiten und verengen sich, die Nähe so groß, dass das Geschehen auf der Leinwand ausschert. Schaum füllt irisierend den Kader. Die Strömung streift durchs Korallenbett, eine Ritze gibt Fleisch frei, Nesseln jubilieren lautlos. Eine Zunge rollt prall zwischen vollen Lippen, Schaum wippt, Medusen kollidieren, ehe die orgiastische Kulmination im Meeresoberflächenschimmer des Vorhangs verebbt.

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In der Mitte des Films steht, stroboskopisch blitzend, die Vagina dentata. Rosshaarfarben schillert der Vorhang. Pferdeschritte klackern durch die Tonspur, wir sind im Wiener Ateliertheater, in der haptischen Visualität von Luster, Holz und Tapezierung. Ein Pferdeauge lugt duldsam durch die Mähne. Unser Blick zwischen den Stühlen, Close-Up auf die bezahnte Vagina, die – bien sûr – als Ausgang hier fungiert. Fünf Performerinnen* treten im Stechschritt aus ihr hervor – einmal, zweimal, dreimal. Perspektiven wechseln, wir werden anvisiert, fixiert beinahe. Ein kleiner Riss auf weiter Fläche Pferdehaut, Sattelwerk zwischen konfrontativ gespreiztem Gebein, Busen quillt aus dem Ledergeschirr. Die Warze, ruhend im Tableau, bebt sanft unter der Atmung eines fragmentierten Körpers. Finger dringen ins Leder, Pferdefell glänzt unbegrenzt im Kader. Blut fließt durch die Brust, ein Pferdeanus blickt zurück. Das Pferdeauge weitet sich, kündet von zirkulär arrangierten Bildmotiven. Nüstern zucken, ein Wollen stellt sich ein und verdichtet sich. Die Erotik transzendiert das Menschliche. Ledermasken, dienstbar zugeschnitten, kleben auf den Gesichtern – eine Zigarette dazwischen ist immer drin. Stecknadelfein penetrierte Fingerspitzen führen sie zielgerichtet ein. Die Blicke der Performerinnen* mal fixiert, mal abschweifend. Ein Brustwarzenpiercing wird zum metallenen Fluchtpunkt der angefachten Schaulust. Eine Stalltür wird umgeblasen, sie ist ohnehin Attrappe. Sturm wütet. Eingeschirrt schließlich erklimmen die Protagonistinnen* eine Kletterwand, entsteigen dem Bild im artifiziellen Schneetreiben.

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Horrorfilm-Score geleitet uns sodann in unheimliches Terrain. Hämisches Geflüster zischt aus dem Off einer sinisteren Seegrotte. Gesteinsmasse verformt sich im Wandel von Licht und Schatten. Weiße Farbe fließt blutig über eine schwarze Wand. Fingerfäden greifen spinnenartig in ein Bild der Dunkelheit, Zombieaugen blicken ungerichtet zurück. Alles wiederholt sich, kommt näher. Gestein spiegelt sich in schwarzem Wasser, mutiert ins Kreatürliche. Gewitter bricht ein in diese kinematische Angstlustprojektion. Hinter der vertikal sich öffnenden Seitenblende treten Gesichter in Erscheinung: Eine Frau* blickt toten Auges aus der Welt. Eine andere Figur trägt die Fleischmaske auf die Wange getackert. Wunden wuchern blumig aus der Haut eines präsenten Frauen*gesichts, silberstaubig schimmern die lackierten Hände. Dickes Weiß spritzt und ergießt sich über den Kader. In dieser genre-Mutante penetriert uns eine Komposition ästhetisierten Grauens. Die Grotte errötet im Kunstlicht, die Kamera fährt zögerlich weiter, hält ein, blendet auf und ab. Eine Zombieschar in schwarzer Kutte bewegt sich auf uns zu, kontrolliert zunächst, skulptural sich windend, rasend schließlich im Sog einer Anziehung, die sich im roten Schüttbild schockartig ergießt.

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Goldenes Brokatband ziert den Samtvorhang. Zirkusmusik bläst laut und eilig in die Leere. Kardinalrote Plastiktribünenstühle reflektieren Scheinwerferlicht. Pastellbunte Seidenbonbons füllen überbordend den Kader. Eine Wurfmesserzielschreibe rotiert psychedelisch, und bleibt stehen. Alle Messer auf Punkt gerichtet. Denice Boubon is back und posiert pretty trustingly im Tierpelz, arrangiert, von Marzipanbonboniere introduziert, mit Wurfmesserfingerextensions die Stoffdiloboa. Ein paar rosa Süßigkeiten und Drehscheiben weiter offenbart sich Bourbon im Ganzkörper-Dildokostüm, der Raum zwinkert bunt zurück. Trommelwirbel und Sternlicht geben die Manege frei für zwei in Ballettschuhen balancierende Artistinnen*. Konzentriert und anmutig stemmen sie in Federboa die Langhantel. Sinnlich aneinander gelehnt erfassen sie den Raum.

Einige im Wildkatzenfell erwachende Performerinnen* begegnen einander und stoßen sich ab, die freiliegende Brust der einen bespritzt das Fell der anderen. Spielversehrt wohnt die Manege des Circus Louis Knie dem müden Erwachen bei. Sabine Marte, im pantomimischen Solo, entflieht dem Verfolger expressiv. Melodramatisch untermalt verneigt sich ehrwürdig die Diva mit dem Eierkopfschmuck. Schlitzt sich, in Plastikverpackung bandagiert, Brust und Bauch auf. Blut quillt, ein Glitzervollbad steht an. Mehrgesichtig, starr und angespannt grimassiert der Defilee der Clowns. Staub tanzt durch die Schwärze.

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Blau, weiß, gläsern und eisig eröffnet sich der Blick auf die lichtdurchfluteten Ränge des Tieranatomischen Theaters. Mandala-artig und frontal erscheint die Kuppel. Zahnig ordnen sich Finger zur Vagina an und ziehen sich wieder zurück. Ein Champagnerglas glänzt solitär in der Dunkelheit. Ein Glashaus aus vielen weiteren dieser edlen Gefäße füllt kristallin das Bild. Das Gebein-Ballett, gülden und silbern, steht in spitz-blauen Stilettos bereit. Sprudel ergießt sich in das überschäumende Glas. Goldsaft rinnt an den Beinen hinab, löst ein muskuläres Beben aus. Die Kuppel zeigt Nacht an. In Varieté-Arrangements ertasten Gold- und Silberhände den materiellen Grund – und einander. Die Wandmalerei birgt Pferdeleben und -tod. Gläserne Details und Tüll-Pompons weichen den Performerinnen*. Mit Perlenfäden geschmückt beschreiten sie blau den Raum, weisen bald liegend in ein Kino des beginnenden 19. Jahrhunderts. Phenakistiskopisch[i] auf einer Scheibe angeordnet, schwingen und kreuzen sie Arm und Bein zu einer Choreografie, in der Abstraktion, Wahrnehmung und Fantasie floral ineinanderfließen. Tanzbilder betören synchron und asynchron das Auge, der

Sprudel quillt endlos über. Hände prosten sich sternförmig zu. Schaum glänzt so nah. Bis das Ganze in der Abstraktion der Nähe versiegt. Past and future are together, celebrating carnival.

Identität liegt hinter uns.


[i] In Anlehnung an Joseph Plateaus in den 1830er Jahren entwickeltes Phenakistiskop: Eine stroboskopische Scheibe, mit darauf angebrachten Phasenbildern einer tanzenden Figur, die sich bei Bewegung um die eigene Achse dreht.

Das Filmmuseum zeigt am 15. September 2022 Werke von Katrina Daschner im Rahmen der “In person”-Reihe. Mehr Informationen auf www.filmmuseum.at